Google hat im Laufe der letzten zweieinhalb Jahrzehnte Hunderte von Produkten gestartet, aber auch sehr viele davon wieder eingestellt – darunter bekanntlich auch den einen oder anderen Messenger. Überraschend hat sich Google Talk als langlebigster Messenger erwiesen, der vielleicht eines Tages noch einmal eine große Zukunft vor sich haben wird. Bis es soweit ist, wird er aber zu den vergessenen Produkten zählen, an die wir uns gerne erinnern.
Viele Jahre lang hat Google eine wahre Flut an Messengern im Portfolio gehabt, die gekommen, gegangen und zusammengeführt worden sind. Mittlerweile ist das Messenger-Portfolio übersichtlich und das gefürchtete Karussell könnte noch für lange Zeit im Stillstand verharren. Begonnen hatte die ganze Geschichte im Jahr 2005 mit dem Messenger, dessen Bezeichnung auch heute noch vielen Nutzern ein Begriff sein dürfte: Google Talk. Eine simple Bezeichnung für einen ebenso simplen Messenger, der aber perfekt in den damaligen Zeitgeist gepasst hat und schnell viele Nutzer gewinnen konnte.
Als Google Talk gestartet ist, gab es weder WhatsApp noch den Facebook Messenger, Smartphones waren nicht wirklich komfortabel, kaum verbreitet und das Internet spielte sich noch hauptsächlich auf dem Desktop ab. Kein Wunder, dass Google Talk vor allem als Desktop-App wahrgenommen wurde und mit den damals dominierenden Lösungen wie dem MSN Messenger (viele werden sich erinnern, war eine tolle Zeit), dem Yahoo! Instant Messenger, dem AOL Instant Messenger oder auch ICQ und IRC konkurrierte. Google machte dabei vieles richtig.
Während die Messenger der Konkurrenz immer weiter überladen wurden, brachte Google Talk eine blitzsaubere und schlanke Oberfläche – damals noch DAS Geheimrezept von Google, mit dem auch schon die Suchmaschine aufgestiegen ist. Aber das ist natürlich längst nicht alles.
Wie ihr auf obigem Screenshot erkennen könnt, war die Oberfläche sehr schlank und aufgeräumt und ermöglichte die Kommunikation in mehreren parallel auf dem Desktop platzierten Fenstern – etwas, das bis heute nicht selbstverständlich ist. Dazu eine kurze Statusanzeige und ein Profilbild und fertig war der Messenger. Die Nutzer konnten Nachrichten versenden, Bilder verschicken, Emojis verwenden und auch andere Nutzer per Sprachanruf kontaktieren. Später waren sogar Videotelefonate möglich.
Der Messenger stand aber nicht nur auf dem Desktop als App zur Verfügung, sondern konnte auch direkt aus dem Browser heraus verwendet werden, stand in späteren Jahren als eigenständige App für Android und BlackBerry (ja, wirklich) zur Verfügung und ließ sich auch im Browser verwenden. Plattformübergreifender ging es damals nicht und unter anderem deswegen konnte sich der Messenger sehr schnell verbreiten.
Tatsächlich war der Messenger auch einige Jahre direkt in GMail integriert und stand dort unter anderem als „GMail Chat“ zur Verfügung, wobei es an dieser Stelle einige Verwirrungen und mehrere Wechsel gab. In Googles eigenem Social Network Orkut war der Messenger ebenfalls zu finden und selbst als integriertes, aber dennoch in gewisser Weise eigenständiges Gadget für die Plattform Google Desktop stand es zur Verfügung.
XMPP & offen für andere Plattformen
Der Messenger unterstützte von Anfang an das XMPP-Protokoll, bis Google es dann im Jahr 2014 endgültig entfernt hat – als Talk längst ein Schatten seiner selbst gewesen ist. Damit war es möglich, mit anderen XMPP-Plattformen zu kommunizieren, was damals ein sehr guter Ansatz war, um mehrere Messenger zusammenzubringen, ohne merkwürdige Meta-Messenger wie Trillian & Co. verwenden zu müssen. Heute sind noch immer alle Messenger-Plattformen getrennt, wobei immerhin Facebook bekanntlich den Versuch der Vereinigung unternehmen möchte. Der noch junge Firmenname Meta hätte auch aus dieser Sicht kaum besser gewählt werden können.
Und so hatte Google einen sehr attraktiven Messenger mit dem damals vollkommen ausreichenden Funktionsumfang, einer schlanken Oberfläche, vielen Nutzern und einer plattformübergreifenden Infrastruktur im Programm. Was hätte schief gehen können? Eigentlich nichts, denn wenn der Messenger, so wie alle anderen Produkte, ausgebaut und regelmäßig mit neuen Features versehen worden wäre, würden WhatsApp und Facebook diesen Markt heute vielleicht nicht dominieren.
Der Erfolg von Talk war für Google offenbar so inspirierend, dass schon wenige Jahre später die unendliche Messenger-Geschichte begann. Der Google+ Messenger wurde geschaffen, Google Hangouts stand zur Verfügung und im Web gab es innerhalb von GMail weitere Lösungen. Das war chaotisch, aber konnte den Talk-Nutzern erst einmal nichts anhaben. Die fatalste Entscheidung und das Todesurteil von Google Talk wurde im Jahr 2012 gesprochen: Google hat die Einstellung des mobilen Talk-Clients angekündigt – nahezu zeitgleich mit dem kometenhaften Aufstieg von WhatsApp. WTF?!
All diese einzelnen Lösungen sollten in Hangouts integriert werden, womit die lange Geschichte dieses Messengers begann, mit dem viele Nutzer aber nie so richtig warm geworden sind. Dass Google zu dem Zeitpunkt den Talk-Messenger einstellt, an dem die Nutzerschwärme gerade zu WhatsApp ziehen, war die folgenreichste Entscheidung, die zu den heutigen Marktverhältnissen geführt hat. Und weil Googles Entwickler wie üblich 2-3 Messenger zugleich pflegen mussten, waren auch keine großen Innovationen zu erwarten. Von der sympathischen und simplen Oberfläche ganz zu schweigen. Anfang 2015 wurde Google Talk endgültig eingestellt und erst 2022, vor wenigen Wochen, die Talk-Plattform geschlossen.
Zwar werden Google-Messenger auf dem Markt kaum noch beachtet, aber ein mögliches Google Talk 2.0 mit einigen damaligen Ansätzen wäre vielleicht auch für leidgeplagte Nutzer einen Blick wert. Das wird viel Zeit (und vor allem Geduld) in Anspruch nehmen, aber die notwendigen Voraussetzungen sind mit Android, Chrome & GMail doch vorhanden. Nicht wenige Nutzer wären bereit, die Facebook-Messenger zu verlassen, aber es scheitert immer daran, dass der eigene Familien- und Freundeskreis nicht mitzieht.
Diese Hürde wäre bei Google sehr viel geringer, denn ein Google-Konto hat praktisch jeder und die Schnittmenge der Nutzer, die wenigstens ein Google-Produkt wie Android, Chrome oder GMail nutzen geht in die mehreren Milliarden. Hätte Google damals weiterhin einzig und allein auf Talk gesetzt und es regelmäßig modernisiert, wäre der Messenger mit Sicherheit auch heute noch sehr populär. Sehr schade.