Google hat kürzlich angekündigt, die generative Künstliche Intelligenz in eine Reihe von Produkten integrieren zu wollen, darunter GMail sowie der Messenger Google Messages. Beides befindet sich bereits mit Hochdruck in Entwicklung und dürfte demnächst ausgerollt werden. Damit dringt die KI sehr schnell in den Bereich der Kommunikation hervor und mir stellt sich nur eine Frage: Muss das sein?
In den nächsten Monaten und Jahren wird die KI wahre Wunder vollbringen, denn die Hersteller bringen ihre über lange Zeit entwickelten Technologien endlich auf den Markt und werden damit sicherlich noch so manche beeindruckende Anwendungsgebiete zeigen. Google hat bereits angekündigt, dass die Sprachtechnologie nicht nur ein Fall für die Websuche ist, sondern auch in das Workspace-Universum integriert wird. Darunter GMail sowie außerhalb dessen auch in den Messenger Messages.
Für beide Kommunikations-Apps wurden bereits eindeutige Hinweise oder halbfunktionierende Abläufe entdeckt, über die wir natürlich berichtet haben: Die KI wird Nachrichten in Google Messages schreiben und auch bei GMail wird die KI E-Mails schreiben, verbessern oder Konversationen zusammenfassen können. In den Demos sieht das alles toll aus und wird den Nutzern sicherlich viel Zeit sparen. Aber muss das wirklich sein?
Anders als bei den kurzen Smart Replys, die eindeutig als solche zu erkennen sind, schreibt eine KI ganze Absätze und dürfte sich mittelfristig auch auf die typische Ausdrucksweise des Nutzers beziehen. Für den Empfänger der Nachricht ist daher nicht (mehr) erkennbar, ob die Nachricht oder E-Mail tatsächlich von der Person geschrieben oder vollständig von einer KI verfasst wurde. Das ist bequem für den Absender, aber zerstört meiner Meinung nach die gesamte Kommunikation.
Zwischenmenschliche Kommunikation findet häufig digital statt, doch „früher“ konnte man sich wenigstens sicher sein, dass es von der Person am anderen Ende der Leitung (bildlich gesprochen) stammt. Mit dem Einzug der KIs sieht das völlig anders aus. Es geht jede Persönlichkeit verloren und damit auch die gemeinsame Ebene mit dem Gesprächspartner. Klar, auch jetzt sind Messenger-Konversationen mit GIF- und Emoji-Überfluss nicht unbedingt erstrebenswert, aber sie sind persönlich und menschlich.
Sobald die KI das Schreiben übernimmt und der Nutzer am anderen Ende nur noch auf absenden drücken muss (wobei sogar das eines Tages wegfallen könnte), geht etwas verloren. Angenommen, auch der Empfänger nutzt einen solchen KI-ChatBot. Dann unterhalten sich nur noch die ChatBots miteinander und die Benutzer hinter ihnen, mit deren Namen all die Nachrichten versendet werden, müssen längst nicht mehr mitlesen oder haben das Smartphone gar aus der Hand gelegt.
Sind automatische Nachrichten sinnvoll?
Es gibt sicherlich Situationen, in denen Funktionen wie Smart Reply, mit sehr kurzen Antworten, sinnvoll sind. Etwa für eine schnelle Antwort, während man selbst nicht schreiben kann. Doch echte Konversationen per E-Mail und erst recht nicht im Chat sollten meiner Meinung nach nicht auf dieser Ebene geführt werden. Im E-Mail-Bereich könnte man den gesamten Mailverkehr auf drei große Kategorien runterbrechen: Privat, Geschäftlich und Newsletter/Angebote.
Für Newsletter-Reaktionen, etwa zum Abbestellen, reichen die Smart Replys oder integrierten Funktionen. Für den privaten Bereich gilt das, was ich weiter oben geschrieben habe – es geht die persönliche Note und natürlich auch ein Stück weit die Kontrolle über den Inhalt verloren. Und für den geschäftlichen Bereich sollte man es sich gut überlegen, ob man E-Mails von einer KI beantworten lassen und nicht selbst die volle Kontrolle darüber behalten will. Also in welchem Fall ist eine KI-Nachricht wirklich sinnvoll.
Dazu kommt, dass man Dinge, die man selbst geschrieben oder geäußert hat, besser im Gedächtnis bleiben. Doch wenn man einfach nur in das Eingabefeld tippt „schreibe über XY“, dann geht auch das verloren und mann kann sich nie sicher sein, welche Informationen beim Empfänger angekommen sind und welche nicht. Klar, die Endkontrolle ist noch beim Absender, aber wir alle kennen die Faulheit der Menschen, die irgendwann nur Absenden ohne Drüberzulesen.
Telefon-Bots ala Google Duplex
Schon vor einigen Jahren wurde mit Google Duplex der telefonierende Assistent vorgestellt. Dieser kam technisch nur schwer vom Fleck und sorgte für große Kritik. Das ging bis hin zu Aussagen, dass ein solches Telefonat respektlos gegenüber der Person in der anderen Leitung ist, der ein echter Mensch vorgegaukelt wird. Und wo ist jetzt genau der Unterschied zu den KI-Bots in GMail und Messages? Was damals nicht funktioniert hat, soll heute plötzlich die große Innovation sein?
Wer gerne mit dem persönlichen Sekretär einer Person spricht, statt mit der Person selbst, wird das ganz toll finden. Aus heutiger Sicht würde ich für mich behaupten, nicht mit Personen kommunizieren zu wollen, die umfangreich auf solche KIs setzen. Kann sich natürlich ändern und vielleicht kratze ich langsam an der Kategorie der Ewiggestrigen, aber aktuell überwiegen aus meiner Sicht die Nachteile. Das wird jeder anders sehen und in einigen Jahren könnte man es als rückständig empfinden, selbst Nachrichten zu schreiben. Aber dann stechen Menschen wie ich wenigstens aus der Masse heraus, die noch persönlich antworten und schreiben. Schöne neue Welt.