Google hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Kommunikationsstandard RCS in den Massenmarkt zu bringen und als Nachfolger für die SMS zu etablieren. Doch das scheint nicht nur ein Kampf gegen Windmühlen zu sein, sondern auch die Sinnhaftigkeit für das Unternehmen lässt sich hinterfragen. Vor allem die Angriffe auf Apple zeigen, dass man sich bei Google vielleicht mal wieder verrannt hat.
Die SMS konnte kürzlich den 30. Geburtstag feiern und hat von Google, wie es häufiger in den Medien zu lassen war, einen vergifteten Glückwunsch erhalten – denn man hat die Glückwünsche dafür genutzt, das eigene RCS hervorzuheben und erneut die Ablösung der SMS zu fordern. Dazu hat man drei gute Gründe für RCS genannt, die zwar nachvollziehbare Argumente hatten, aber weder ein Alleinstellungsmerkmal hatten noch einen echten Grund für die Ablösung enthielten.
Google führt immer wieder an, dass die SMS nach drei Jahrzehnten technisch leicht überholt ist *hust* und dementsprechend durch eine neue Technologie ersetzt werden müsste. Faktisch hat man zwar recht, aber im Alltag der allermeisten Menschen spielt die SMS überhaupt keine Rolle mehr. Die SMS wird nur noch dafür genutzt, um 2FA-TANs zu empfangen oder Bestätigungen jeglicher Art zu erhalten. Das mag auf einem veralteten Weg passieren, wäre aber mit einer modernen Variante nicht besser. Es braucht keine Smileys, keine GIF-Animationen, keine Empfangsbestätigung, keine Verschlüsselung oder sonstiges. Es soll einfach nur den sechsstelligen Code empfangen, nicht mehr und nicht weniger.
Ausnahmen bestätigen die Regel und natürlich werden manche Menschen die SMS noch als Kommunikationsmittel nutzen, aber der Anteil dürfte sich an einer Hand abzählen lassen. Wem kurze Textnachrichten ausreichen, bleibt bei SMS. Wer mehr möchte, kann sich jederzeit einen Messenger der Wahl installieren und mit diesem einem medial unterstützte Unterhaltung führen. Natürlich könnte RCS eine Lösung sein, aber es ist nur unter vielen.
Reitet Google ein totes Pferd?
Die großen Fragen, die sich wahrscheinlich nicht nur mir stellen, beziehen sich auf Googles gesamte Argumentationskette. RCS bietet nichts, was andere Messenger nicht auch können. Im absolut unteren Bereich bietet man aber auch nichts, was die SMS nicht kann. Textnachrichten beliebiger Länge lassen sich problemlos per SMS verschicken, denn jedes Smartphone/Handy kann diese technisch begrenzte Nachricht zusammensetzen. Und für alles andere gibt es, wie schon erwähnt, zahlreiche Messenger.
RCS hat natürlich den Vorteil, dass es keine eigene App braucht, sondern eine von vielen Smartphone-Herstellern und Netzbetreibern unterstützt Grund-Technologie ist. Ein Fallback, das immer funktioniert. So wie die SMS oder die Telefonnummer. Man muss nicht wissen, welches Endgerät oder welche Technologie der unbekannte Kommunikationspartner nutzt. Es funktioniert einfach. Das ist das Hauptargument und genau das, worauf sich Google immer wieder stützt.
Doch RCS soll der SMS nur nachfolgen und diese nicht ersetzen. Vielleicht wird SMS eines Tages abgeschaltet, wenn Googles RCS-Plan aufgeht. Aber auf absehbare Zeit wird die SMS noch viele Jahre existieren und somit das Fallback sein, das es benötigt. Es gibt keine Notwendigkeit, dies zu ersetzen. Noch dazu durch eine Technologie, die zu großen Teilen vom Wohlwollen eines Messenger-Chaos-Unternehmens abhängig ist und weniger bietet, als es moderne Messenger tun.
Warum sollte RCS zum Standard werden?
Google kann unter Beachtung obiger Erklärungen kein echtes Argument liefern, warum RCS zum Standard werden soll. RCS wird zwar breit unterstützt, aber faktisch wenig verwendet. WhatsApp beispielsweise hat mehrere Milliarden Nutzer und wird gerade exzessiv genutzt. Warum also nicht WhatsApp zum Standard machen, das ebenfalls auf der Telefonnummer basiert? Ich weiß, ich weiß – dahinter steht ein privates Unternehmen und kein offener Standard. Aber hat sich WhatsApp bisher nicht deutlich zuverlässiger als Googles zahlreiche Messenger-Anläufe gezeigt?
Bei Google führt man als RCS-Handbremse an, dass Apple den Standard nicht unterstützen will und greift das Unternehmen für diese Entscheidung immer wieder an. Erst vor wenigen Tagen sprach man davon, dass iPhone-Nutzer in den 90ern hängengeblieben sind. Allerdings setzt Apple mit iMessage auf eine moderne Anwendung, während es Google ist, das eine 90er-Technologie mit einem ähnlichen Konzept ersetzen will. Ist dann nicht eher Google in den 90ern hängengeblieben und will den eigenen Misserfolg im Messenger-Bereich vertuschen?
Google braucht RCS nicht, aber die Nutzerbasis
Für Google spielt RCS aus unternehmerischer Sicht keine Rolle. Man hat zwar in der Vergangenheit erfolgreich Standards geschaffen, diese aber oftmals so ausgelegt, dass die eigenen Produkte davon am meisten profitieren. RCS ist Google technisch vollkommen egal, aber man wird sich davon versprechen, dass der Messenger Google Messages in der Gunst der Nutzer steigt und eines Tages zu den Großen der Branche gehört. Meine Prognose: Selbst wenn Apple den Widerstand aufgeben und RCS unterstützen würde, wäre RCS maximal eine Randnotiz.
Ich bringe zum Abschluss noch einen bösen Vergleich, der aber aus meiner Sicht gezogen werden kann: Während die Konkurrenz auf Autos setzt, will Google die Kutsche ersetzen und die Menschen davon überzeugen, dass es besser ist. Kann man machen, aber gegen das Auto hat man keine Chance. Was in meinem Beispiel das Auto und was die Kutsche ist, muss ich wohl nicht erklären.
Ich gebe Google noch ein bis zwei Jahre, in denen man an RCS festhalten wird. Man wird weiterhin Apple den schwarzen Peter zuschieben, der den RCS-Durchbruch verhindert hat und dann irgendwann aufgeben. Selbst die möglicherweise bald erzwungene iMessage-Öffnung wird nichts für RCS tun. Der Messenger-Zug ist für Google schon lange abgefahren und wenn man nicht eine bahnbrechende neue Technologie / Konzept hervorzaubert oder einen großen Messenger übernimmt, wird das auch in Zukunft so bleiben.
Letzte Aktualisierung am 2024-12-03 / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Affiliate Links, vielen Dank für eure Unterstützung!