Vor einigen Jahren wollte Google mit der Datenbrille Google Glass eine ganz neue Produktkategorie etablieren und ist damit grandios gescheitert – bis heute einer der größten Flops des Unternehmens. Jetzt, ein Jahrzehnt später, hat sich ein führender Softwareentwickler des damaligen Projekts zu Wort gemeldet und einige sehr gewichtige Gründe für das Scheitern genannt. Interessanterweise gibt es mehrere deutliche Parallelen zu Meta.
Viele unserer Leser werden sich noch an Google Glass erinnern, das damals mit einer fulminanten Präsentation vorgestellt wurde und binnen Sekunden einen Hype rund um das Projekt ausgelöst hat. Doch die in der Präsentation gezeigten Features waren nicht nutzbar, das Produkt sehr teuer, limitiert verfügbar, aus Datenschutz-Sicht ein Albtraum und einiges mehr. Google Glass gehört bis heute zu den größten Flops des Unternehmens, könnte aber dennoch schon im kommenden Jahr vom neuen Pixel Glass beerbt werden.
Die Gründe für das Scheitern sind vielfältig, doch ein damals am Projekt beteiligter Senior Software-Entwickler gibt jetzt sehr interessante Einblicke in die damalige Situation, die Kultur im Team und seine heutigen Ansichten. Damals hatte man sich bei Google noch die Reste eines Startup-Images bewahrt (auch wenn es längst ein Milliardenkonzern war), scheiterte aber dennoch vor allem an den typischen Problemen eines großen Unternehmens: Alle Beteiligten wissen, was schief läuft, werden aber nicht erhört oder trauen sich nichts zu sagen.
Hier die von Warren Craddock angeführten Gründe für das Scheitern, die aus meiner Sicht allesamt nachvollziehbar sind und vermutlich nicht nur bei Google für das Scheitern vieler weiterer Projekte führen. Achtet einmal auf die Parallelen zu Meta, das ja derzeit an einem verwandten Produkt arbeitet. Ich werde das in meinen Kommentaren noch etwas weiter ausführen.
Unnötig und unschön
Google Glass actually had *two* fatal flaws:
– It didn't really do anything very useful.
– You looked stupid while wearing it.The culture in the Google Glass team grew to completely ignore these flaws, too. 7/n
— Warren Craddock (@warren_craddock) October 10, 2022
Eigentlich hat er das wichtigste mit diesem Tweet schon zusammengefasst, was zum Scheitern geführt hat. Das Produkt mag grundsätzlich beeindruckend gewesen sein, aber einen praktischen Nutzen oder gar Vorteil gegenüber anderen Geräten hatte es nicht. Über letzten Punkt kann man streiten, aber trotz Brillenform war es natürlich alles andere als natürlich. Die auf die Mitmenschen gerichtete Kamera und das Display in der Ecke, das die Träger in die Ecke statt „normal geradeaus“ blicken ließ, war nicht wirklich clever.
Keine Killer-App
The engineers spent their days testing Glass with vapid questions like, "Ok Glass, how tall is the Eiffel Tower?" and taking phots of the potted plants on their desks.
Phone notifications are bad enough. No one wanted them on their faces, too.
Glass just wasn't useful. 10/n
— Warren Craddock (@warren_craddock) October 10, 2022
Ich kann mich erinnern, dass Google damals hohe Prämien für externe Entwickler ausgelobt hatte, die Killer-Apps oder Ideen liefern. Das zeigte schon, dass man selbst keine hatte. Tatsächlich soll es wohl niemals eine echte Killer-App-Idee gegeben haben. Hoffen wir, dass sich das bis heute geändert hat, denn immerhin arbeitet man ja an einem Nachfolger.
Selbst das Team hat Glass nicht genutzt
Wearing Glass also made you look stupid.
No one ever wore Glass at the office. The devices sat on our desks, plugged into USB, endlessly charging.
The team tried to paper over this flaw, too. They launched an infamous photo spread in Vogue. 11/nhttps://t.co/oJgXNHKpfJ
— Warren Craddock (@warren_craddock) October 10, 2022
Kommen wir zu den Parallelen, die ich zu Meta sehe: Niemand wollte Google Glass und selbst die Entwickler hatten ihre Brillen nicht auf der Nase, sondern stets nur Alibi-mäßig auf dem Schreibtisch. So ähnlich wird es wohl auch bei Meta aussehen. Wenn Zuckerberg vorbeischaut, ist man im Metaverse unterwegs und sobald er selbst wieder abtaucht, verschwindet die Brille. Ähnlich dürfte es damals mit Larry Page (als CEO) und Sergey Brin (als starker Projekt-Befürworter) gewesen sein. Jedes Widerwort hätte wohl direkt den Platz auf dem Schleudersitz gebucht, sodass man im Team selbst „blind“ dafür geworden ist, dass man mit Vollgas gegen die Wand fährt.
Niemand wollte Glass, aber keiner gab es zu
Unsurprisingly (at least in retrospect) that also failed to change the reality of Glass's fatal flaws.
The team never directly acknowledged the fatal flaws at all.
Instead, they trundled on, trying to push an ugly, useless product into a market that clearly didn't want it. 12/n
— Warren Craddock (@warren_craddock) October 10, 2022
Das Team selbst soll wohl selbst nie eingestanden haben, dass man riesige und eigentlich unlösbare Probleme hat. Schwer zu sagen, ob man da tatsächlich vom eigenen Projekt so begeistert war und die sprichwörtliche rosarote Brille aufhatte, oder ob andere Meinung einfach nicht gehört wurden. In der Form kennt man das aus vielen großen Unternehmen, bei denen jeder Mitarbeiter, mit Ausnahme des Chefs sieht, dass vieles schiefläuft.
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Vermutlich gibt es Null Parallelen zwischen den Projekten, aber irgendwie erinnert mich das auch an den Aufstieg und Fall von Google+, der ebenfalls in Larry Pages CEO-Zeit fällt. Auch damals hatte man mit Volldampf entwickelt, sich abgeschottet, andere Teams nicht zu Wort kommen lassen und hatte die blinde Unterstützung von oben. Hoffen wir, dass das heute etwas anders läuft und hinter dem erwarteten Pixel Glass ein echtes Konzept abseits einer beeindruckenden Tech-Demo steckt. Alle Infos zu Pixel Glass findet ihr in diesem Artikel.