Google arbeitet seit gut fünf Jahren am Infotainment-Betriebssystem Android Automotive, das langfristig das Erbe von Android Auto antreten und die wichtigen Google-Apps direkt in das Fahrzeug bringen soll. Dass das kein leichtes Unterfangen wird, muss Google von Anfang an gewusst haben, aber mit so viel Gegenwind hat man wohl nicht gerechnet: Wenn sich nicht bald etwas ändert, dürfte das Betriebssystem wohl auf der Abschussliste stehen, bevor es überhaupt in Fahrt kommen konnte.
Die Infotainment-Plattform Android Auto konnte sich aus zwei Gründen rasend schnell verbreiten und neben Apples CarPlay zum Quasi-Standard aufschwingen: Das damals gewachsene Selbstverständnis der Smartphone-Nutzung in allen Lebenslagen und die in der Praxis fast nicht notwendige Kooperation mit den Fahrzeugherstellern. Sie mussten lediglich dafür sorgen, dass Android Auto ausgeführt werden kann und mussten dafür nicht ihre eigenen Plattformen aufgeben. Ein sehr einfacher Schritt, der sich im Marketing gut nutzen lässt.
Bei Android Automotive ist das ein bisschen anders, denn es handelt sich um ein vollständiges Betriebssystem für den immer wichtiger werdenden Infotainment-Bereich im Fahrzeug. Deren Funktionsumfang wird nicht nur immer größer, sondern auch das Display wächst, die Bedeutung wächst und langfristig wird dieser Bereich bei autonomen Fahrzeugen vielleicht zum Zentrum der Aufmerksamkeit. Es ist sozusagen die Schnittstelle zum Nutzer / Fahrer / Kunden. Das wissen mittlerweile die Fahrzeughersteller und wollen diesen Bereich daher nicht so einfach aus der Hand geben.
Google hatte von Beginn an Mühe, Partner für Android Automotive zu finden und diese davon zu überzeugen, ihre eigenen Plattformen quasi wegzuschmeißen und voll auf Google zu setzen. Noch dazu jede Menge Daten und Schnittstellen sowie die Kontrolle über einen wachsenden Anteil der digitalen Fahrzeuginfrastruktur (abseits der kritischen Systeme) abzugeben. Und jetzt laufen auch noch Partner davon…
Android Automotive hatte Potenzial
Als Erbe von Android Auto hatte Android Automotive große Vorschusslorbeeren, denn Google war für viele Fahrzeughersteller die schnelle Lösung für das längere Zeit übersehene Problem der Digitalisierung im Fahrzeug. Android Auto hat die App-Nutzung ermöglicht, die Fahrzeuge somit smarter gemacht und war / ist ein wichtiges Argument für so manchen Autokäufer. Mit Android Automotive geht das Ganze eine Stufe höher, denn statt das Smartphone als Zentrale zu nutzen, wandert die gesamte Software direkt in das Tablet im Fahrzeug.
Die Unterschiede zwischen Android Auto und Android Automotive haben wir euch ausführlich in diesem Artikel erklärt.
Google fehlen starke Partner
Wie bereits erwähnt, kann Google bei Android Automotive so viel entwickeln wie man will – man braucht die Partner. Wenn die Fahrzeughersteller das Betriebssystem nicht vorinstallieren und somit faktisch auf ihre eigenen Plattformen verzichten, kann sich Android Automotive nicht verbreiten. Denn während Android Auto optional ist und als Aufsatz zur Hersteller-Oberfläche genutzt werden kann, ist Android Automotive nicht parallel nutzbar. Entweder die Hersteller-Oberfläche oder AAOS.
Von Anfang an war klar, dass Google es daher schwer haben wird, die Fahrzeughersteller zu überzeugen. Denn offenbar haben diese mittlerweile den digitalen Wandel bemerkt und wollen sich nicht in die Abhängigkeit begeben. Das hat nun dazu geführt, dass Google Stand Heute mit nur wenigen Partnern dasteht, die noch dazu nur in den USA bedeutsam sind. Im wichtigen europäischen und asiatischen Markt hat man nur wenige Partner, die nur wenig Enthusiasmus zeigen.
Diese Hersteller sind nicht dabei
Die beiden weltgrößten Fahrzeughersteller Toyota (Toyota, Subaru, Lexus, Daihatsu) und Volkswagen (VW, Audi, Seat, Skoda, Porsche, Cupra, Sportwagen, LKW,…) wollen Android Automotive nicht nutzen oder nur auf die freie Plattform ohne Google-Anbindung setzen. Der drittgrößte Hersteller Hyundai Kia will sich vollständig von Android verabschieden. Erst vor wenigen Tagen hat die weltweite Nummer 4 Stellantis (Opel, Peugeot, Fiat, Jeep, Chrysler, Alfa Romeo, Citroen, Lancia, DS,…) angekündigt, ebenfalls auf Android Automotive zu verzichten und Android vollständig den Rücken kehren zu wollen.
Dazu kommt, dass sich in vielen Ländern wichtige Marken ebenfalls nicht zu Android Automotive bekennen wollen: Mercedes-Benz und BMW sind aus deutscher Sicht wichtigen Beispiele. Natürlich ist auch Tesla nicht mit dabei. Von den aufstrebenden chinesischen Marken wollen wir erst gar nicht reden. Man kann schon sagen, dass obige Auflistung ein Who-is-who global wichtiger Marken ist, die man allesamt auf absehbare Zeit verloren hat.
Stand Heute sind noch Renault-Nissan-Mitsubishi mit den drei Kernmarken sowie General Motors, Ford und Volvo mit dabei. Doch bis auf Volvo (mit Polestar) sehe ich nur wenig Enthusiasmus bei den Herstellern, Android Automotive umzusetzen und ihre Flotten umzustellen. Vor allem bei Renault-Nissan-Mitsubishi wäre ich mir nicht so sicher, ob man nicht schon sehr bald den Stellantis-Weg geht. Damit blieben nur noch die beiden amerikanischen Marken und das eher kleine Volvo.
Braucht Google Android Automotive?
Das ist die große Frage. Da Google gerne Mal wenig erfolgreiche Projekte aufgibt und sich derzeit ohnehin in einer kleinen Restrukturierung befindet, sehe ich für Android Automotive tatsächlich eine große Gefahr für das Ticket auf den Google-Friedhof. Wenn man ehrlich ist, hat Android Automotive für Google strategisch keine große Bedeutung. Und wenn es das hätte, kann man die seit Jahren sehr langsame Entwicklung sowie die ständigen Probleme mit Android Auto nicht nachvollziehen.
Da man sich gerade selbst auf Effizienz trimmt und auch den Driving Modus ohne große Ankündigung und Vorlaufzeit eingestellt hat, sieht es nicht gut aus. Der Verlust wichtiger Partner sowie das Nicht-Gewinnen weiterer wichtiger Partner dürfte AAOS nicht gerade weit nach oben auf Googles Prioritätenliste steigen lassen. Dazu muss man beachten, dass einige Fahrzeughersteller jetzt Hunderte Millionen oder gar Milliarden in die Entwicklung eigener Plattformen stecken. Das werden sie selbst bei anfänglichen Problemen nicht so schnell aufgeben, sodass Google nicht auf schnelle Meinungswechsel hoffen kann.
Ich denke, dass Android Automotive mit dem alten Konzept schon jetzt als gescheitert betrachtet werden kann. Google sollte eher auf Kooperationen mit den großen Herstellern setzen und diese davon überzeugen, die Google-Dienste in ihre eigenen Plattformen zu integrieren. Denn das ist schlussendlich das, was Google möchte und der einzige Grund, warum es Android Auto und Android Automotive überhaupt gibt. Damit würde sich obige Frage einfach beantworten lassen: Nein.
Letzte Aktualisierung am 2024-12-16 / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Affiliate Links, vielen Dank für eure Unterstützung!