Google bemüht sich seit längerer Zeit darum, den neuen Standard RCS zu etablieren und stößt dabei auf ein Problem, das außerhalb der eigenen Kontrolle liegt und sich so schnell wohl nicht lösen lässt: Apple bzw. iMessage. Der vorläufige Höhepunkt war Googles Forderung nach RCS für iMessage. Doch mit dieser Forderung macht man sich auch angreifbar, denn Apple könnte mit einem einzigen Schritt Googles Messenger-Bemühungen zunichtemachen.
Schon seit vielen Jahren wird über iMessage für Android diskutiert, das es aber nach damaligen Apple-Erwägungen niemals geben sollte. Auch heute, fast zehn Jahre später, ist es dafür längst nicht zu spät, aber die Wahrscheinlichkeit dürfte nicht unbedingt gestiegen sein. Google hat an iMessage für Android aus nachvollziehbaren Gründen überhaupt kein Interesse, möchte aber dennoch einen Entwicklungsschritt des Apple-Managers sehen.
Googles Android-Chef, eines der wichtigsten Sprachrohre des Unternehmens, hat Apple öffentlich aufgefordert, den RCS-Standard zu unterstützen und dies mit der Interoperabilität begründet. RCS soll nach Googles Willen die Nachfolge der SMS antreten und benötigt dafür eine sehr breite Unterstützung. Neben der Forderung gab es sogar einen sehr klaren Google-Angriff auf iMessage, um sich in Cupertino Gehör zu verschaffen. Apple hat sich zwar nicht offiziell geäußert, wird Googles Forderungen aber sicherlich ins Leere laufen lassen.
Für Apple wäre eine RCS-Unterstützung sowohl technisch als auch strategisch vermutlich kein großes Problem. Es würde nichts an der iMessage-Popularität ändern, die vor allem in den USA sehr hoch ist. Dennoch will man sich wohl nicht die Blöße geben, einer Google-Forderung nachgekommen zu sein. Ich denke, dass Google diesen Schritt an die Öffentlichkeit niemals gewagt hätte, wenn man nicht vorher schon lang und breit hinter den Kulissen mit Apple verhandelt hätte. Den nun aufgebaute öffentliche Druck, falls dieser überhaupt vorhanden ist, wird Apple verschmerzen können.
Geht es Google um das Geheimwohl oder den Messenger-Markt?
Die von Google vorgebrachten Argumente sind nachvollziehbar: Die SMS ist alt und bietet praktisch keine Möglichkeiten abseits der kurzen Textnachrichten. Zwar kann man speziellen Apps auf beiden Seiten einiges herausholen, aber die Technologie ist dafür nicht geeignet. Dennoch ist die SMS auch heute noch die einzige Methode, bei der man sich sicher sein kann, durch Kenntnis der Telefonnummer eine andere Person zu erreichen. WhatsApp-Dominanz hin oder her. Und in diesem Punkt hat Google vollkommen recht.
Allerdings ist es so, dass RCS federführend von Google entwickelt wird und für einen Standard zu recht großen Teilen unter der Kontrolle des Unternehmens steht. Für Google geht es darum, einen Standard zu etablieren, den die Nutzer im besten Fall mit den eigenen Apps verwenden. Aber auch die Unterstützung in anderen Apps zur Etablierung des Standards ist dem Unternehmen nur recht. Es wäre nach zahllosen Anläufen wohl der einzige für Google, etwas Kontrolle über den Messenger-Markt zu gewinnen.
Es ist die typische strategische Doppelrolle von Google, die manchmal aufgeht und manchmal eben nicht. Bei RCS sieht es nicht gut aus, denn selbst wenn es sich weit verbreitet, wird es wohl nur eine Fallback-Technologie bleiben. Die Nutzer werden weiterhin per WhatsApp, Telegram, Signal oder iMessage kommunizieren. Aber sicher nicht mit Google Messages oder anderen Apps des Unternehmens. Google kennt das Problem und will das durch die Hintertür RCS lösen.
Strategischer Angriff auf Apple?
Nun kann man erst einmal Apple die Schuld in die Schuhe schieben, dass sich RCS trotz recht breiter Verbreitung einfach nicht etablieren will. Das Lockheimer selbst in diesen Modus geht, zeigt schon, dass man eine möglichst große Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken möchte. Man fordert zwar freundlich, aber mit Nachdruck. Lest euch einfach einmal die Tweet-Kette von Lockheimer durch. Apple kann darauf aus meiner Sicht gar nicht reagieren, ohne sich selbst in eine Position der Schwäche zu bringen.
Aber was ist, wenn Apple den Spieß einfach umdreht?
Was ist, wenn Apple auf Gegenangriff geht?
Google wirft Apple vor, einen wichtigen Standard nicht zu unterstützen und damit die Bemühungen ins Leere laufen zu lassen. Auch eine gewisse Innovationsfeindlichkeit schwingt mit. Im Endergebnis ist das korrekt, aber bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Ein Standard sollte sein, aber er muss nicht unbedingt aus dem Hause Google kommen. Apple könnte einfach einen neuen Standard aus dem Hut zaubern oder vielleicht doch die iMessage-Infrastruktur für Android öffnen. Natürlich geschieht das nicht von heute auf morgen, aber man könnte sich für einen solchen Schritt aussprechen.
Würde Apple solch einen Schritt gehen, wären die von Google vorgebrachten Argumente plötzlich auf der eigenen Seite der Waagschale erdrückend. Dann müsste auch Google den Apple-Standard unterstützen und damit die Reichweite schaffen, die es für eine echte Nachfolge der SMS braucht. Gleichzeitig könnte man dann aber auch die eigenen Messenger-Bemühungen wieder einmal begraben und müsste vor allem den Fuß aus der Tür des Messenger-Markts ziehen. Es wäre ein echter Coup von Apple, für den Google selbst mit der aktuellen Kampagne die Tür geöffnet hat.
Ich glaube persönlich nicht, dass es soweit kommt. Apple wird keinen Standard etablieren wollen, aber auch Googles Bemühungen nicht unterstützen. Das Verhältnis zwischen den beiden Unternehmen ist einfach zu angepasst, um zusammenzuarbeiten. In Notsituationen, wie etwa dem im Rekordtempo entwickelten Covid-Tracking, funktionieren die Leitungen zwischen den beiden Unternehmen. Und das ist alles was zählt. Sollte es eines Tages einen echten SMS-Nachfolger geben, dann dürfte dieser aber weder aus dem Hause Google noch Apple kommen, um beide an einen Tisch zu bekommen…