Verfolgt man die aktuelle Entwicklung und greift ein wenig vor, könnte man davon sprechen, dass Google den Desktop wieder für sich entdeckt hat und in diesem Bereich angreifen möchte. Allerdings mit den eigenen Waffen und längst nicht mehr mit nativen Apps, von denen man vor einiger Zeit noch einige im Portfolio hatte. Wir blicken zurück auf Googles damalige weit verbreitete Desktop-Apps, denen man irgendwann den Stecker gezogen hat.
Google hat sich schon vor gut 15 Jahren das Motto „Mobile first“ auf die Fahnen geschrieben und darunter wohl nicht nur verstanden, zuerst für das Smartphone zu entwickeln, sondern auch den Desktop zu vernachlässigen. Das hat man abseits des Browsers auch getan und sich auf anderen Plattformen konzentriert. Als „Ersatz“ für Windows und Mac wurde dann Chrome OS ins Rennen geschickt, von dem man sich gerade im ersten Jahrzehnt vermutlich mehr Erfolg erhofft hatte. In den letzten Jahren versuchte man sich an den PWAs, die zwar sehr praktisch sind (und auch von mir gerne genutzt werden), aber ihr volles Potenzial noch längst nicht ausschöpfen.
Heute gibt es nur noch drei große Desktop-Apps von Google, die man nicht so einfach durch Alternativen ersetzen kann: Google Chrome als DIE App für den Desktop, die mutmaßlich für immer bestehen wird. Die zweite ist Google Drive, die man aber möglicherweise eines Tages durch eine PWA mit Zugriff auf lokale Dateien ersetzen könnte. Die dritte hat eine deutlich kleinere Zielgruppe, ist aber nicht weniger relevant: Das Android Studio zur Entwicklung von Apps. Auch dieses könnte in ferner Zukunft in den Browser wandern. Die technischen Möglichkeiten sind da.
In der Vergangenheit gab es noch weitere Anwendungen, die sich in ihrer besten Zeit sehr großer Beliebtheit erfreuten, aber wohl nicht mehr in die Roadmap gepasst haben und daher eingestellt wurden. Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere langjährige Google-Nutzer noch gute Erinnerungen daran hat.
Google Desktop
Es war DIE Desktop-App von Google und sie trug den Namen der Plattform sogar im Namen. Google Desktop war eine Erweiterung der Google-Suche auf den Computer des Nutzers. Die App erstellte ein Index über alle auf dem Computer gespeicherten Dateien und bot eine einfache Suchfunktion, die der von Windows damals weit überlegen war – in Geschwindigkeit und Flexibilität. Außerdem konnte eine Google-Suchleiste in der Taskleiste oder auf dem Desktop eingerichtet werden.
Später gab es sogar die Möglichkeit, Widgets und eine mächtige Widgetleiste einzurichten, die dauerhaft verfügbar war. Wurde von mir persönlich sehr gerne genutzt und war der damaligen Microsoft-Lösung rund um Windows Vista überlegen. Wer sich für Google Desktop interessiert, kann sich meinen damaligen Artikel mit dem umfangreichen Rückblick auf Google Desktop durchlesen.
Picasa
Picasa. Eine App, der so manch ein Nutzer heute noch nachtrauern dürfte. Es war eine sehr mächtige Fotoverwaltung, quasi das Google Fotos für den Desktop. Medien konnten beliebig organisiert und durchsucht werden, ganz unabhängig von der dahinterliegenden Ordnerstruktur auf dem Computer. Damals revolutionär. Neben der Organisation gab es außerdem Bearbeitungsmöglichkeiten, einen flexiblen Photo Viewer (den ich heute noch nutze) sowie eine Anbindung an die Cloud. Die Picasa Web Albums gingen aus der App hervor, die der Vorgänger von Google+ Photos waren, was wiederum der Vorgänger vom heutigen Google Fotos ist.
Schon damals gab es die Cloud-Synchronisierung, eine Gesichtserkennung, eine eingeschränkte Form der Suche nach Objekten auf Bildern und vieles mehr. Einfach eine starke App, die heute zwar nicht mehr angeboten wird, aber nach wie vor gut nutzbar ist. Wer zurückblicken möchte, kann sich meinen umfangreichen Rückblick auf Picasa durchlesen.
Google Earth
Google Earth war damals eine große Revolution, denn es bot erstmals im großen Stil einen Blick auf die Erde – mit Satellitenbildern. Wer damals „dabei war“, der weiß, was das für ein großer Schritt war und welcher Hype rund um Google Earth herrschte. Heute ist das selbstverständlich. Google Earth gibt es nach wie vor, wurde aber in den Browser verfrachtet und steht nicht mehr offiziell als Desktop-App zur Verfügung. Zwar bot der Desktop einige Zusatzfunktionen, aber grundsätzlich ist es um die App daher nicht wirklich schade – dennoch sollte sie in diesem Artikel nicht fehlen.
Schaut euch bei Interesse die Netflix-Doku The Billion Dollar Code an, in der es um die Geschichte von Google Earth geht.
Google Toolbar
Die Google Toolbar war Googles erster Schritt auf den Desktop und auch der erste umfangreiche Schritt aus dem Browser heraus. Eine Suchleiste im Browser war zwar nichts wirklich Neues mehr, aber keine Symbolleiste war so weit verbreitet und einige Jahre lang selbstverständlich wie die Google Toolbar. Das führte dazu, dass die nächste Browser-Generation – die damals nur alle paar Jahre veröffentlicht wurde – eine eigene Leiste enthielt und mit Google Chrome dann mit der Adressleiste verschmolzen wurde. Man könnte die Toolbar als Ur-Großvater von Google Chrome beschreiben.
Die Leiste hat sich selbst überlebt und wurde tatsächlich erst vor wenigen Tagen offiziell eingestellt – kurz vor dem 20. Geburtstag! Einen ausführlichen Rückblick auf die Geschichte und Möglichkeiten haben wir euch daher erst kürzlich in diesem Artikel gegeben.
—
Ich denke nicht, dass Google noch einmal ernsthaft in Desktop-Apps investiert, sondern stattdessen den Chrome-Browser als Vehikel verwendet. Zwar kann der Google Play Store für Windows nochmal eine sehr große Rolle spielen und eine bedeutsame App werden, aber wie dieser umgesetzt wird, ist bisher noch nicht bekannt. Es ist nicht undenkbar, dass auch der Play Store nur eine PWA wird, denn die notwendige Android-Infrastruktur ist in Windows enthalten.