Seit vielen Jahren versuchen sich zahlreiche Bastler und Projekte daran, die Android-Apps auf den Desktop zu bringen und setzen dabei auf ganz unterschiedliche Konzepte. Nun kommt mit Windows 11 der wohl aussichtsreichste Kandidat dazu und soll die Android-Apps nativ und ohne jeglichen Brücken auf den Windows-Desktop bringen. Das könnte sehr gut funktionieren und für Microsoft zu einem großen Erfolg werden.
Die beiden völlig voneinander getrennten Welten Mobil und Desktop sind in den letzten Jahren immer weiter zusammengewachsen und bei so manchem Gerät kann man kaum noch bewerten, in welche Kategorie es eigentlich gehört – das gilt vor allem für die Convertibles oder Tablets mit Tastatur. Und weil auch so mancher Hersteller das offenbar nicht bewerten kann, gab es einige kuriose Lösungen mit Geräten, die durch das Andocken der Tastatur ein anderes Betriebssystem geladen haben: Windows mit Tastatur und Android ohne Tastatur. Googelt bei Interesse mal nach dem Samsung ATIV Q.
Es gab schon viele Versuche
Neben dieser Hardware-nahen Lösung gibt es diverse Emulatoren, die die Android-Apps oder gleich das gesamte Betriebssystem auf den Desktop bringen. Aber auch aufgepumpte Android-Versionen, die vollständig und ohne darunterliegendes Betriebssystem auf einem Desktop-Gerät gebootet werden, hat es gegeben und gibt es nach wie vor. Alle Lösungen haben sicherlich auf ihre Art funktioniert, aber den perfekten Weg hat (aus meiner ganz persönlichen Sicht) noch keiner gefunden.
Nun könnte es ausgerechnet Microsoft sein, dass Android auf den Desktop bringt: Windows 11 wird Android-Apps unterstützen und diese nativ ausführen können, so wie jede andere für Windows entwickelte Anwendung. Und das soll auch ohne App Store funktionieren – sprich per Sideload. Einfach die APK-Datei ausführen, so wie eine gewöhnliche Standalone EXE-Datei, und es kann losgehen.
Es gibt viele Schwierigkeiten
Android auf den Desktop zu bringen dürfte für Profi-Entwickler rein technisch kein großes Problem sein, denn über Emulatoren und VMs stehen genügend Lösungen zur Verfügung. Viel schwieriger ist es, diese Apps sinnvoll in die Oberfläche einzubinden, eine Kompatibilität herzustellen, die Interaktion mit anderen Anwendungen und dem darunterliegenden Betriebssystem herzustellen und natürlich auch die physischen Einschränkungen irgendwie abzufangen: Das beginnt beim Touchscreen, geht über die Tastatur und endet bei den zahlreichen Sensoren, die sich zwischen Mobil und Desktop eben unterscheiden. Mal ganz abgesehen davon, dass der Desktop primär per Cursor und das Smartphone per Finger gesteuert wird.
Microsoft könnte es gelingen
All das sind Dinge, die ein einzelner Akteur kaum lösen kann, sodass es nur zwei Unternehmen gibt, die das Ganze lösen können: Google als DAS Unternehmen hinter Android und Microsoft als DER Anbieter für Desktop-Betriebssysteme. Google hat sich viele Jahre eher als Bremser präsentiert, der die alternativen Lösungen zwar nicht behindert, aber auch niemals Interesse daran gezeigt hat. Und so liegt es nun in Microsofts Hand, ob Android auf den Desktop kommen kann.
Vermutlich ist Microsoft in diesem Bereich auch der bessere Ansprechpartner, denn der Unterbau spielt eine größere Rolle als die eigentliche App-Umgebung. Google hat Android über die Jahre mit einigen Desktop-Funktionen versehen, die aber zu 99 Prozent im Tiefschlaf sind und nicht genutzt werden – so wie etwa die Freeform Windows zum Ausführen mehrerer Apps zugleich in Fenstern. Google mag es nicht nutzen, aber es war und ist eine wichtige Voraussetzung, um Android sinnvoll auf den Desktop bringen zu können. Dass Google nun Android-Apps für Tablets & Co. pushen möchte, dürfte dabei gut helfen.
Google bremst schon wieder
Doch obwohl sich Microsoft diesem Thema nun sehr ernsthaft annimmt und darin vielleicht auch ein Stück weit die Zukunft von Windows als Plattform sieht, scheint Google weiterhin nicht interessiert zu sein: Die Google Play Services werden nicht vorhanden sein und Microsoft kooperiert für den App Store mit Amazon. Zwar werden sich die Play Services sehr wahrscheinlich per Sideloading installieren lassen, aber das ist schon wieder ein Schritt, den man dem durchschnittlichen Nutzer eher nicht zumuten sollte. Das muss direkt funktionieren: Doppelklick auf die APK und los. Alles andere dürfte sich in der riesigen Masse nicht durchsetzen. Doch Microsoft wird wohl kaum die Möglichkeit haben, die Google Play Services vorzuinstallieren und dass man eine freie Alternative wie microG vorinstalliert, halte ich für unwahrscheinlich.
Mir stellt sich die große Frage: WARUM bremst Google? Niemand von uns kennt die Hintergründe. Vielleicht wollte Google mit Microsoft kooperieren und war mit den Bedingungen aus Redmond nicht einverstanden. Möglich. Doch die Verhandlungen mit Amazon dürften wohl nicht unbedingt leichter gewesen sein. Und wenn Google ein ernsthaftes Interesse an Android-Apps auf dem Windows-Desktop hätte, hätte sich sicherlich auch ein Weg gefunden. Wo ein Wille ist,…
Gewinnt Microsoft den Android-Desktop?
Und so hat nun Microsoft die besten Karten, DIE Standardlösung für einen Android-Desktop zu stellen. In einer perfekten Welt, aus Microsoft-Sicht, könnte man damit die damaligen mobilen Versäumnisse sowie die stark sinkende Bedeutung der Desktop-Apps kompensieren. Das wäre sicherlich auch für viele Nutzer sehr komfortabel. Mit Brücken-Lösungen wie Your Phone hat man auch gleich eine Infrastruktur in der Hand, um das Smartphone möglichst einfach einzubinden. Aber auch Standalone-Apps ohne Smartphone-Anbindung sind interessant.
Ich schätze Microsofts Chancen als sehr groß ein. Auch Google hat längst verstanden, dass manche Android-Apps auch außerhalb des Smartphones praktisch sein können und hat den Play Store inklusive der Apps zu Chrome OS gebracht. Wie viele Nutzer das tatsächlich verwenden, ist nicht bekannt. Doch während die Android-Apps unter Chrome OS aufgrund des Konzepts ein Fremdkörper sind, könnten sie bei Windows 11 perfekt passen. Im Idealfall bemerkt der Nutzer gar nicht, ob er auf eine .exe oder eine .apk geklickt hat und für welche Plattform die genutzte App eigentlich entwickelt wurde.
Es wird wieder von Google abhängen
Es hat sich gerade erst gezeigt wie große Googles Macht über Android ist und dass es ohne Google-Dienste einfach nicht geht. Das könnte genauso für Windows 11 gelten. Wenn Google die eigenen Produkte nicht für Windows 11 anbietet und über die Blockade der Play Services viele weitere Apps unmöglich macht, könnte dieser Windows 11-Funktion das gleiche Schicksal drohen wie Windows Phone. Das eine oder andere Android-Tool wird sich auf dem Desktop gut machen, aber für einen Erfolg braucht es das große Ganze – und das ist auch heute noch ohne Google nicht zu schaffen.