Google arbeitet seit gut einem halben Jahrzehnt am neuen Betriebssystem Fuchsia, das vor wenigen Wochen sehr überraschend auf die ersten Smart Displays ausgerollt wurde und potenziell in den nächsten Monaten auf weiteren Geräten ankommen könnte. Doch nicht nur der Rollout war eine Überraschung, sondern auch Googles Umgang mit dem neuen Produkt. Es zeichnet sich ab, dass Fuchsia vielleicht niemals in der Form gestartet wird, wie es die meisten Beobachter seit Jahren erwarten.
Seit bald vier Jahren berichten wir hier im Blog über Googles neues Betriebssystem Fuchsia, über das wir in dieser Zeit sehr viel erfahren konnten und dennoch im Gesamtbild nicht viel klüger geworden sind. Die Entwicklung von Fuchsia findet unter den Augen der Öffentlichkeit statt, denn der Sourcecode ist frei zugänglich, sodass das Projekt sogar heruntergeladen, selbst kompiliert und getestet werden kann. Allerdings mit solch großen Stolpersteinen, dass das selbst aus Beobachter-Sicht kaum sinnvoll ist.
Das unaussprechliche Betriebssystem
Doch trotz der offenen Entwicklung und dem Rollout auf die ersten Geräte, nämlich die Nest Hub Smart Displays, spricht Google nicht über Fuchsia. Und mit „nicht“ meine ich nie-nicht. Selbst der optionale Rollout auf die Smart Displays wurde von Google niemals offiziell angekündigt, sondern lediglich gegenüber einigen wenigen US-Blogs bestätigt. Ansonsten gab es keine Ankündigung, keinen Blogpost, kein Statement und selbst die betroffenen Nutzer werden über den Tausch des Betriebssystems vollständig im Dunkeln gelassen.
Google setzt also die Nicht-Kommunikation selbst jetzt noch fort, wo das Projekt gewissermaßen in die Hände von Endnutzern gelangt und auf täglich genutzten Geräten eingesetzt wird. Das ist ein recht eindeutiges Zeichen dafür, dass Google das Projekt Fuchsia für den Endnutzer als vollkommen irrelevant betrachtet. Etwas, das sich mit den sehr wenigen damaligen Aussagen deckt.
Das Ende des Fuchsia-Hypes
Fuchsia hat in den Jahren 2017 und vor allem 2018 einen großen Hype in der Tech-Welt ausgelöst, denn es kamen ständig neue Details ans Licht und es gab sogar Bildmaterial von einem möglichen Fuchsia-Desktop zu sehen. Es brodelte und nicht wenige wären überrascht gewesen, wenn Google plötzlich mit einem Blogpost das neue Betriebssystem ankündigt – doch dazu ist es niemals gekommen. Stattdessen stieg man im Frühjahr 2019 am Rande der Google I/O voll auf die Bremse und ließ Android-Chef Hiroshi Lockheimer den Fuchsia-Hype beenden.
Lockheimer ließ sich nur wenige Worte entlocken und bezeichnete Fuchsia als Spielwiese, die wenig aufregend ist und keinerlei großen Bedeutung hat – schon gar nicht für Android. Wer mal einige Einblicke in Googles interne Strukturen gehabt hat, der weiß, dass Lockheimer trotz seiner sehr hohen Position möglicherweise einer der letzten gewesen wäre, der erfahren hätte, dass Android durch Fuchsia ersetzt wird. Doch jeder wusste, dass das nicht passiert und es ist auch völlig unrealistisch, das gestern, heute oder morgen zu denken. Dennoch hielten Ich und viele andere Beobachter Lockheimers Aussagen für eine Nebelkerze. Aber vielleicht war sie das nicht.
Fuchsia ist wirklich nicht aufregend
Wir haben euch kürzlich gezeigt, wie ihr Fuchsia testen könnt und man kann sagen: Fuchsia ist langweilig, zumindest beim aktuell bekannten Stand. Es gibt nichts zu entdecken, von den Stärken der Struktur kann man in dieser Phase überhaupt nichts spüren und das eigentliche Produkt befindet sich unter der Haube, sodass es höchstens für Entwickler interessant sein könnte. Es gibt also nichts zu sehen, worauf sich die vier Jahre lange Vorfreude in irgendeiner Form gelohnt hätte. Kein Wunder, dass Google immer gebremst hat oder das Thema durch Nicht-Kommunikation totschweigen wollte.
Fuchsia bleibt wohl versteckt
Mit dem Rollout auf die Nest Smart Displays hat man nun möglicherweise ein Zeichen für die Zukunft von Fuchsia gesendet. Fuchsia kann als stabiler und moderner Unterbau für viele Plattformen dienen, mit dem die Endnutzer selbst aber gar nichts zu tun haben. Auch aus diesem Grund gibt es so viele Schnittstellen und den vollständig modularen Aufbau. Wir haben euch schon eine Liste mit potenziellen weiteren Produkten von Wear bis Google TV zusammengestellt, die im Kern durch Fuchsia ersetzt werden könnten.
Das könnte eines Tages auch Android und Chrome OS blühen. Beide Kerne könnten durch Fuchsia ersetzt werden, sodass die Aussage „Fuchsia ersetzt Android“ zwar im Kern (im wahrsten Sinne des Wortes) korrekt ist, das Ganze aber keinerlei Auswirkungen auf Nutzer und App-Entwickler hat. Sie werden es einfach gar nicht bemerken.
Fuchsia ist kein guter Name
Schon von Beginn an war klar, dass „Fuchsia“ nicht der Name für ein Endprodukt sein kann. Es ist in vielen Sprachen nur schwer auszusprechen und selbst Google schreibt es falsch. Es ist ein Projektname, der aber aufgrund des Nicht-Starts für Endanwender beibehalten werden kann. Selbst auf den Smart Displays spricht man von „Fuchsia“, aber es ist keine Bezeichnung, mit der der Nutzer normalerweise in Berührung kommen würde. Dass das Betriebssystem in Kürze ein neues Logo erhalten wird, ändert daran nicht viel, zumal dieses nicht wirklich zur restlichen Armada der Google-Logos passen will.
Und so könnte die Geschichte von Fuchsia darin enden, dass es ein neuer Kernel ist, den man langfristig als Unterbau für alle Plattformen verbreitet und die Produkte auf stabile Füße stellt. Ohne Abhängigkeiten vom Linux-Projekt, Open Source-Quellen oder rechtlichen Problemen (man denke an den jahrelangen Oracle-Krieg um den Java-Kern von Android). Fuchsia wäre genauso interessant wie Googles Whitechapel-Chip in den Pixel-Smartphones. Ein riesiger Schritt, aber der Endnutzer wird davon niemals etwas bemerken oder sich dafür interessieren.
Fuchsia 2.0
Das heißt natürlich nicht, dass Fuchsia nicht doch noch seinen großen Auftritt haben kann. Erst einmal etabliert man es mit den anderen Plattformen, aber sobald sich neue Geräteklassen ergeben und eine neue OS-Entwicklung ansteht, könnte man erstmals auf Basis von Fuchsia ein Betriebssystem bzw. eine GUI in Rekordzeit entwickeln. Ich denke, dass Fuchsia eine sehr wichtige Weichenstellung ist, auch wenn das Projekt selbst für uns überhaupt keine Rolle spielt.