Google hat vor einigen Wochen das neue Betriebssystem Fuchsia veröffentlicht, das in derzeit verfügbarer Form allerdings nur auf einer sehr geringen Anzahl an Geräten genutzt werden kann – aber das wird sich ändern. Mit den heutigen Erkenntnissen erscheinen die damaligen Gerüchte, dass Fuchsia sowohl Android als auch Chrome OS ersetzen kann, in einem ganz anderen Licht. Man könnte sie bestätigen und dementieren zugleich.
Wenn man sich Googles große Auswahl an Betriebssystemen ansieht, könnte man den Eindruck bekommen, dass sich ein solches Produkt innerhalb kürzester Zeit entwickeln lässt. Wer einen etwas tieferen Einblick in die Materie hat, der wird allerdings wissen, dass das nicht der Fall ist und dass sich die Definition des Begriffs „Betriebssystem“ in den unterschiedlichen Nutzergruppen doch recht stark unterscheiden kann. Meist wird das allumfassende Produkt gemeint.
Betriebssystem != Betriebssystem
Ein Betriebssystem besteht aus einer Hardware-nahen Ebene, die die Kommunikation mit den Komponenten des Geräts (Computer, Smartphone,…) übernimmt. Dann gibt es den Kernel mit den wichtigsten Grundfunktionen, häufig noch weitere Zwischen-Ebenen und erst ganz am Ende kommt die grafische Benutzeroberfläche, mit der der Endnutzer interagiert. Diese ist in den meisten Fällen Teil des Betriebssystems, aber die eigentliche Magie findet in den tieferen Gefilden statt. Wer sich darin etwas einlesen möchte, findet bei Wikipedia viele Erklärungen und Grafiken.
Und weil viele Betriebssysteme auf einem bereits bestehenden Projekt aufbauen, lässt sich das zum Teil recht schnell entwickeln. Android und Chrome OS basieren auf dem Linux-Kernel, Apples Betriebssystem auf Unix. Bei beiden wurde Jahrzehnte-lange Vorarbeit geleistet. Bei Fuchsia hingegen ist das nicht der Fall, denn mit diesem Projekt hat Google tatsächlich mit einem leeren Blatt Papier angefangen.
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Schon vor längerer Zeit hatte ich darüber spekuliert, dass „Fuchsia“ nicht das Endprodukt für den Nutzer ist, sondern vor allem die tiefere Schicht darstellt, mit der man als Nutzer normalerweise niemals in Berührung kommt. Und so wäre es dann aus Sicht des Endnutzers völlig uninteressant, wenn dieses verborgene Produkt einfach ausgetauscht wird. Er würde es nicht einmal bemerken. Ich gehe davon aus, dass genau das der Plan von Google ist.
Fuchsia ersetzt Android und Chrome OS – Jein
Seit wenigen Wochen ersetzt Fuchsia das Cast OS auf Smart Displays und wer nicht im GoogleWatchBlog oder anderen Tech-Blogs mitliest, wird das gar nicht mitbekommen haben. Das ist ein guter Testlauf für das, was da in Zukunft noch kommen kann. Google hatte in den vergangenen Jahren mehrfach Ärger mit den Android-Wurzeln, über die man gewissermaßen keine Kontrolle hat. Das betraf vor allem die Java-Engine, die zwar auch schon eine Stufe höher angesiedelt ist, aber sich noch immer in einer Ebene „unter der Haube“ befindet.
Google kann Fuchsia aus der Motivation heraus gestartet haben, diesen Unterbau auszutauschen. Die Unterbauten von Android und Chrome OS sind ab einem gewissen Grad selbst für die meisten App-Entwickler kaum noch interessant, sodass man selbst bei einem Milliarden-fach eingesetzten Betriebssystem ein solches Wagnis eingehen kann. Gut möglich, dass der Android-Kern mit der nächsten Version – frühestens Android 13 – durch Fuchsia ausgetauscht wird. Bei Chrome OS ginge es dank der baldigen monatlichen Updates sogar noch schneller.
Auf der untersten Ebene wären die damaligen Gerüchte, dass Fuchsia sowohl Android als auch Chrome OS ersetzt, faktisch gar nicht mehr so verkehrt. Die Benutzeroberfläche bliebe mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit unverändert und auch die App-Kompatibilität wird man mit Sicherheit nicht über Nacht aufs Spiel setzen, aber dennoch mit beiden Produkten einen sehr großen Schritt gehen. Ich hielt das vor zwei Jahren für möglich, im vergangenen Jahr für wahrscheinlich und durch die jüngsten Entwicklungen wäre es fast schon überraschend, wenn es nicht geschieht.
Android wurde lange auf diesen Schritt vorbereitet und modular gestaltet. Bei Chrome OS ist es aufgrund der Architektur des Betriebssystems noch einfacher. Erst vor wenigen Wochen hatte ich eine Liste mit weiteren Plattformen ausgearbeitet, die ebenfalls durch Fuchsia ersetzt werden könnten – unbemerkt, versteht sich.
Und so ist es gut möglich, dass Fuchsia schon in einigen Monaten auf mehreren Milliarden Geräten zum Einsatz kommt, ohne dass es die Masse der Nutzer überhaupt mitbekommt. Die Endprodukte trägen weiterhin die bekannten Namen und der Wechsel unter der Haube ist nicht viel mehr als ein Versionssprung. Ob man da nun „Android-Kernel“, „Linux-Kernel“ oder „Fuchsia-Kernel“ schreibt, ist vollkommen egal. Namen sind Schall und Rauch und Anpassungen unter der Haube finden sowieso immer wieder statt.
Fuchsia OS ist dennoch möglich
Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass es eines Tages ein „Fuchsia OS“ geben wird, das dann vermutlich einen anderen Namen trägt. Es kann auf dem gleichen Kern aufbauen und muss lediglich die oberen Layer mitbringen. Die Grund-Kompatibilität wäre durch den gleichen Kern aller anderen Betriebssysteme direkt gewährleistet. Und genau dieses Ziel hat Google aus meiner Sicht stets verfolgt: Volle Flexibilität für alle Geräteklassen, Anforderungen und Szenarien. Fuchsia soll auf Geräten laufen, die es heute noch gar nicht gibt. Auf Geräteklassen einsetzbar sein, die noch gar nicht erfunden wurden.
Ich denke, dass Fuchsia nach wie vor ein sehr spannendes Projekt ist, auch wenn es längst aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Es interessiert sich auch kein Mensch außerhalb der Tech-Blase für den Linux-Kernel, und dennoch ist es ein extrem wichtiges und wertvolle Projekt, ohne das so manche Dinge heute vielleicht gar nicht möglich gewesen wären. Gut möglich, dass wir das in einigen Jahren auch über Fuchsia sagen.
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