Google will Nutzer nicht mehr tracken: Eine schreckliche Idee, die Googles Macht im Werbemarkt zementiert
Google hat vor einigen Tagen große Änderungen für das eigene Werbegeschäft verkündet und möchte schon bald das Tracking einzelner Nutzer einstellen, um das man bisher nicht herumgekommen ist. In der Außendarstellung erscheint es wie ein Eingeständnis, dass man es mit dem Tracking übertrieben hat, doch hinter der Fassade dürfte es ganz anders laufen. Es zeichnet sich ab, dass Google durch weniger Tracking noch mehr Macht erhält.
Die allermeisten Webdienste sind abhängig von der Werbung, die den Löwenanteil zur Finanzierung der meist kostenlosen Angebote beiträgt – vom kleinen GoogleWatchBlog über große und bekannte Portale bis zum Unternehmen Google. Damit diese Werbung funktioniert, wird sie entweder auf den Inhalt der Webseite oder auf das Profil des Nutzers ausgerichtet – das dürfte jedem bekannt sein. Auf praktisch jeder Webseite befinden sich zahlreiche Tracker der großen Werbenetzwerke, die jeden Schritt im Web verfolgen.
Davon kann man halten was man möchte, aber die Werbebranche lebt davon. Nicht zielgerichtete Werbung hat eine deutlich geringere Wirkung und lässt die Umsätze bei allen Beteiligten stark einbrechen – das hat sich in Studien immer wieder gezeigt. Doch weil das Ganze irgendwann Überhand genommen hat, blockieren immer mehr Nutzer das Tracking und auch von der Werbung unabhängige Unternehmen wie Apple oder Mozilla (mit Firefox) versuchen, dem Tracking immer weiter den Riegel vorzuschieben.
Google hat schon vor einigen Jahren verkündet, das Tracking deutlich einschränken oder sogar stoppen zu wollen. Nach langer Entwicklungszeit und vielen Konzepten konnte dann Anfang März verkündet werden, dass Nutzer schon bald nicht mehr getrackt werden sollen. Doch das soll die Umsätze bei Google nicht einbrechen lassen, sondern vielleicht sogar das Gegenteil bewirken.
Das Tracking erfolgt in den meisten Fällen per Drittanbieter-Cookie, die mal einen praktischen Nutzen hatte, aber mittlerweile als „böse“ wahrgenommen werden. Google möchte sich von diesen Cookies verabschieden, nach eigenen Angaben auch keine Alternative zum Tracking schaffen und sich mit Umstellung des eigenen Geschäfts auch selbst stärker davon distanzieren – alle voran mit dem Chrome-Browser, der praktischerweise mit großem Abstand Marktführer ist.
Google sagt zwar, dass man keine alternativen Tracking-Methoden entwickeln möchte, kündigt aber im selben Atemzug FLoC an, das eigentlich genau das ist. Nutzer werden dabei zwar nicht mehr einzeln getrackt, sondern in große Nutzergruppen mit überschneidenden Interessen gepackt, aber grundsätzlich ist auch das eine eindeutige Form des Trackings. Zwar wissen die Werbenetzwerke dann nicht mehr, dass DU Nutzer A oder Nutzer B bist, aber sie wissen weiterhin, dass du dich für Autos interessierst, gerne Streaming-Serien schaust oder auch dass du als Mann kein Interesse an Damenhygiene hast. Ganz grob gesagt.
Die Privatsphäre des Nutzers wird dadurch gestärkt, das muss man anerkennen. Doch schlussendlich ändert sich nichts daran, dass die Nutzer weiterhin im Web verfolgt und in Kategorien gepackt werden. Ob man nun als Einzelperson in der Auto-Fan und Streaming-Liebhaber Kategorie eingeordnet wird oder sich dort mit 1000 weiteren Personen befindet, macht keinen Unterschied. Fakt ist: Nutzer A ruft eine Webseite auf und das Werbenetzwerk weiß, was ihn interessiert. Viel mehr wusste das Netzwerk zuvor auch nicht, denn wer sich nicht gerade bei jedem aufploppenden Formular einträgt und anmeldet, ist gestern wie heute und morgen „anonym“. Es gibt eine Zuordnung, aber einen konkreten Rückschluss auf die Person gibt es nicht.
Der Chrome-Browser wird zur Werbedatenbank
Interessant ist nun aber, wo diese FLoC-Daten gespeichert werden – nämlich direkt im Browser. Der Browser soll die Zuordnung vornehmen und diese den Werbenetzwerken mitteilen. Die ganze Kategorisierung findet also lokal auf dem Rechner des Nutzers statt, der möglicherweise in das eigene Profil eingreifen und dieses ändern kann. Ein solches Profil pflegt Google seit Jahren für alle Nutzer und kann auf dieser Seite abgerufen werden. Schaut mal rein, ist wirklich interessant.
Weil Google die Dreifachrolle als Werbenetzwerk, von Werbung lebendes Unternehmen und des Browseranbieters hat, hat man natürlich ein großes Interesse daran, das FLoC-Modell im Chrome-Browser umzusetzen. Der Browser ist entsprechend vorbereitet und sicherlich wird es im Laufe der Zeit einige Entwicklungen oder Vorteile geben, die nur auf den Chrome-Browser zutreffen. Google erhält dadurch gewissermaßen die Kontrolle über das Tracking bzw. Targeting – auch bei allen anderen Konkurrenznetzwerken.
Google kann das durchdrücken
FLoC ist nur eine von mehreren Lösungen für das Tracking-Problem, aber Google wird dieses nun einfach durchdrücken. Denn die Ankündigung war kein Vorschlag, sondern lediglich ein Hinweis auf die kommende Entwicklung. Der Chrome-Browser wird die Drittanbieter-Cookies bald weitestgehend blockieren, sodass andere Werbenetzwerke gar keine andere Wahl haben, als auf Googles Lösung zu setzen. Da entsteht ein neues Abhängigkeitsverhältnis, das in dieser Dimension wohl einzigartig ist. Am Anfang wird das problemlos funktionieren, aber ich wage mich zu prognostizieren, dass man irgendwann die Daumenschrauben anziehen und Regeln diktieren wird.
Für Endnutzer ist die Entwicklung sicherlich positiv, wenn auch noch lange nicht perfekt. Viele Kritiker von FLoC sehen als Schritt vom Regen in die Traufe, fast schon als Nebelkerze. Das Team der Electronic Frontier Foundation spricht sogar von einer schrecklichen Idee. Lest euch den Beitrag einmal durch, denn dort werden viele Details und Bedenken beleuchtet, die von Google bei der gesamten Kommunikation bisher unter den Teppich gekehrt worden sind.
Möglicherweise spielen auch die neuen Benutzerprofile im Chrome-Browser eine große Rolle bei dieser Entwicklung und sind nicht ganz zufällig mit dem letzten Release eingeführt worden. Spannend wird es sein, wie sich dieses neue Konzept auf den globalen Online-Werbemarkt auswirken wird.
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Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Alle Werbenetzwerke haben das Tracking ausgebaut, verstärkt, verfeinert, inzwischen sind Webseiten mit 20 eingebundenen Trackingdiensten völlig normal. Und Kritik, Bedenken und Sorgen bezüglich dieses Wahnsinns wurden erst ignoriert und dann bekämpft. Wer sich dann mit Blockern selbst schützen wollte, wurde von den Betreibern schon fast als kriminell angesehen, anstatt dass irgendjemand dort mal nachzudenken beginnt, dass man irgendwie gerade auf seiner Leserschaft herum drischt, die keine Lust hat, sich für den Text auszuziehen.
Jeder Beteiligte dieser Maschinerie hätte schon längst vorzeitig die Reißleine ziehen und was besseres auf die Beine stellen können. Aber sobald so eine neue Methode auch nur ein Quentchen vom Gewinn reduziert hätte, hat man lieber genau so weiter gemacht, offenen Auges mit Vollgas in Richtung Abgrund, alles für die Gewinnmaximierung um jeden Preis. Jeder konnte sehen, dass das so nicht weiter gehen kann. Und gerade kleinere Werbenetzwerke müssen sich ja wohl im Klaren sein, dass wenn sie sich nicht bewegen, dann geben die Großen eben den Weg vor. Wer sich so selbstverständlich in die Abhängigkeit der Großen begibt, braucht jetzt nicht heulen.
Ja, nicht zielgerichtete Werbung ist weniger wert. Aber alle Diensteanbieter tun so, als wäre sie völlig wertlos. Dass sie das nicht ist, zeigt seit Jahrzehnten das lineare Fernsehen, wo jeder die selbe Werbung sieht, vom Script Kiddie in Mamas Keller mit zu Opa Heinz im Altenheim.
Die Betreiber und die zu Google konkurrierenden Werbenetzwerke zahlen jetzt für ihre Gier. Und ich weine nicht ihretwegen.