Die Ankündigung von Googles Spieleplattform Stadia jährt sich bald zum zweiten Mal und seit damals ist sehr viel geschehen. Tatsächlich ist Stadia nicht einmal eineinhalb Jahre auf dem Markt und schon gibt es einen großen Richtungswechsel und es zeichnet sich ab, dass die damals gesteckten Ziele nicht erreicht werden können. Die aktuelle Situation könnte man als kleinen Neustart ansehen, denn manches passt nicht zur damaligen Ankündigung.
Viele Jahre lang gab es Gerüchte um einen Einstieg Googles in den Spielemarkt, die man selbst immer wieder dementiert hatte. Doch durch kleinere Übernahmen, durchgesickerten Informationen und nicht zuletzt der Start von YouTube Gaming (das mittlerweile stark zurückgefahren wurde) hielten sich die Spekulationen hartnäckig. Ende 2018 kündigte man dann Project Stream an und ließ erste Tester ein gestreamtes Spiel im Browser zocken. Im Frühjahr 2019 wurde daraus dann Stadia, an dessen Ankündigung und Launch sich sicherlich noch viele erinnern können.
Die Ankündigung von Stadia löste einen riesigen Hype aus, den es bei Google schon länger nicht mehr gegeben hat – doch was hat man daraus gemacht? Zwischen Ankündigung und Start lagen sechs Monate – viel zu lang. Nach der damaligen fulminanten Show und der von den Medien zugetrauten Versenkung von Xbox und PlayStation wurden immer mehr Details veröffentlicht, die die Euphorie weiter bremsten – bis sie über den Sommer quasi zum Stillstand kam.
Schon damals zeigte sich, dass die Starter-Editionen doch sehr viel stockender verkauft wurden, als sich Google das vorgestellt hatte. Es war ein schlechtes Vorzeichen, das sich bis heute zieht. Warum sollte man auch 100 Euro für ein Google-Produkt ausgeben, bei dem man dann auch noch Inhalte kaufen muss und man nicht sicher sein kann, ob sie in zwei Jahren noch zugänglich sind?
Google hatte viel versprochen und vor allem mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass Stadia ja schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt wird. Glückwunsch, den Ruf hatte man sich über Jahre hart erarbeitet. Die Ankündigung der Schliessung aller Stadia Games Studios und Einstellung der Entwicklung gab den damaligen Spottern recht und dürfte Stadia in den Augen so manch potenzieller Nutzer endgültig versenkt haben. Aber es gab noch weitere große Pläne, die ich hier einfach einmal in kurzen Worten zusammenfassen möchte. Die damalige Ankündigung, mehr als eine Milliarde Spieler erreichen zu wollen, ist wohl utopisch.
Stadia & YouTube = eine neue Macht im Spielebereich
Die tiefe YouTube-Integration war ein Kernversprechen von Stadia, doch irgendwann musste man zugeben, dass es erst sehr viel später zur Verfügung stehen wird. Da war das Kind aber schon in den Brunnen gefallen. Heute sind Stadia und YouTube auf mehreren Ebenen miteinander verknüpft – aber nutzt es jemand? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das der große Wurf war. Dafür ist YouTube im Spielebereich ein zu kleines Licht – woran Google durch Umbauten mal wieder nicht ganz unschuldig ist.
Stadia stärkt die Google-Cloud
Google wollte mit Stadia die Stärken der eigenen Cloud zeigen und vielleicht auch selbst zum besten Kunden werden, in dem gigantische Kapazitäten für das Spielestreaming benötigt werden. Doch lassen sich Business-Nutzer davon beeinflussen, dass ein Streamingangebot eigentlich nur das tut, was es soll? Eher nicht. Dass auch die größten Konkurrenten Microsoft und Amazon solche Plattformen auf die Beine stellen und selbst Nvidia und weitere Unternehmen so etwas anbieten können, lässt den Effekt vollständig verpuffen.
Immer und überall spielen!
Stadia sollte die Nutzer von den Fesseln der Konsolen und Gaming-PCs befreien, hat aber auch das nicht geschafft. Wer auf dem Smartphone zocken möchte, kann das unterwegs kaum tun, der angebotene Smartphone-Halter „Claw“ wurde gar als Aprilscherz verstanden, war aber Googles voller Ernst. Gut, dann zocken wir zu Hause. Aber nicht auf Android TV. Google hat es bis heute nicht geschafft, Stadia offiziell zu Android TV zu bringen. Dabei ist es DIE Plattform, mit der man Xbox und PlayStation hätte ärgern können.
Die Stärken mit eigenen Titeln voll ausspielen
Google hatte vollmundig angekündigt, eine Reihe von Games Studios eröffnen zu wollen, denn nur mit eigenen Titel kann man die Stärken der Spieleplattform zeige und Features bieten, die andere Plattformen nicht bieten können. Um welche Features es sich dabei hätte handeln können, hatte man nicht verraten. Und weil man nun die Spieleentwicklung eingestellt hat, kann man anhand der damaligen Aussagen nur davon ausgehen, dass Stadia einfach kein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Das wird die großen Spielepartner nicht unbedingt erfreuen.
Stadia ist nicht Netflix
Ein großer Kritikpunkt war es schon vor dem Start, dass Nutzer sowohl für das Starterpaket als auch das monatliche Abo UND den Kauf von Titeln zahlen müssen. Man wird 3x zur Kasse gebeten, was die große Masse der Nutzer wohl zurückschrecken ließ – aufgrund Googles Vergangenheit mit Produkteinstellungen. Mittlerweile ist man soweit, dass Starterpakete immer wieder verschenkt werden, es Dutzende Spiele kostenlos gibt und auch Nutzer ohne Abo zocken können. Hätte man all das gleich zum Start geboten, wäre es vielleicht anders gelaufen.
Stadia verspricht wohl nicht viele Spieler
Vor wenigen Tagen hat ein Entwickler aufgrund seines Zerwürfnisses mit Google ein bereits angekündigtes Spiel für Stadia kurzerhand gestoppt. Das mag aus der Emotion heraus geschehen sein, aber wenn Stadia viele neue Spieler versprechen würde, hätte er diese Entscheidung sicherlich nicht getroffen. Es dürfte ein deutliches Zeichen sein, wie es derzeit um die Reichweite bestellt ist.
Der Zug ist abgefahren
Google hätte Microsoft und Sony mit Stadia richtig ärgern können, dann man war knapp ein Jahr vor dem Launch der neuen Konsolen am Start. Das ist nicht gelungen und die Konsolen gehen weg wie warme Semmeln. Damit hat sich die wichtige Gamer-Zielgruppe eindeutig für die Konsolen entschieden und der Zug für Googles Stadia ist endgültig abgefahren. Man hat den Vorteil nicht genutzt und dürfte die Neo-Besitzer der neuen Konsolen nur schwer gewinnen können. Vielleicht in fünf Jahren wieder. Natürlich kann sich immer etwas ändern, aber ich sehe derzeit nicht, wie Stadia plötzlich zur Rakete werden könnt.
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Ich denke, dass die von mir angesprochenen Punkte genügend Argumente liefern, um meinen Eindruck von der implodierenden Spieleplattform zu unterstreichen. Wenn Google die Plattform irgendwann einstellt, wird man sich damit mehr geschadet haben, als es jemals genutzt hätte. Wer bereits bei Stadia ist, soll sich über die Angebote freuen und zocken, so lange es geht. Ich würde aber niemandem mehr guten Gewissens empfehlen, mit Stadia zu beginnen. Nehmt die Gratis-Titel mit, aber mehr auch nicht. Meine Meinung.