Googles Spieleplattform Stadia hat vor wenigen Wochen den ersten Geburtstag gefeiert, an dem einmal mehr betont wurde, dass es sich um ein langfristig angelegtes Projekt handelt, dem man nicht so schnell den Stecker ziehen wird. Doch nun hat Google völlig überraschend (oder nicht?) angekündigt, die Entwicklung eigener Spiele einzustellen. Das hat nicht nur verheerende Signalwirkung, sondern zeigt auch, dass Stadia bei weitem nicht so läuft, wie man sich das bei Google vorstellt.
Wenn Google ein neues Produkt auf den Markt bringt, sind viele Nutzer völlig zurecht mittlerweile sehr skeptisch und warten erst einmal ab, wie sich ein Projekt entwickelt. Denn das Unternehmen hat sich in harter Arbeit den Ruf erworben, auch vermeintlich wichtigen Produkten sehr schnell den Stecker zu ziehen. Kein Wunder, dass man bei Stadia von Anfang an in der Öffentlichkeitsarbeit vor allem damit beschäftigt war, die Relevanz des Projekts und deren sehr langfristig gedachte Strategie zu betonen. Dennoch ist die Plattform zum Start gefloppt.
Es gibt keine offiziellen Zahlen zum Erfolg oder Misserfolg von Stadia, doch auch hier dürfte die ungeschriebene Google-Regel gelten: Wenn etwas gut läuft, wird darüber gesprochen. Ansonsten wird es verschwiegen. Und weil man bei Stadia niemals über Zahlen redet, einen sehr großen Teil des Spielekatalogs entgegen der eigentlichen Pläne kostenlos anbietet und bei der Entwicklung hinterherhinkt, kann man nicht viel Gutes vermuten. Aber vielleicht bleibt Google ja dennoch am Ball? Nein.
Am Montag hat Google angekündigt, die Stadia Games Studios zu schließen und die in Entwicklung befindlichen Titel einzustellen. Nur einige sehr weit fortgeschrittene Titel sollen wohl noch veröffentlicht werden, ansonsten schraubt man die Aktivität der eigenen Spieleentwicklung vollständig zurück. BOOM.
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Stadia implodiert
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Google hat die Stadia Games Studios erst Mitte 2019 aus der Taufe gehoben – vor nicht einmal zwei Jahren. Bis heute wurde kein einziger Titel veröffentlicht, der vollständig innerhalb der Google Games Studios entstanden ist. Hier und da soll es wohl Unterstützung anderer Studios gegeben haben, aber das kann man nicht zählen. Bevor sich also auch nur ein Hauch von Erfolg überhaupt einstellen konnte, zieht man den Stecker. Die mit großem Stolz verkündete Leiterin der Stadia Games Studios, Spiele-Veteranin Jade Raymond hat das Unternehmen sogar gleich verlassen. Ihr letzter Tweet lautet übrigens: „do you love me?“. BOOM².
Immer wieder wurde betont, dass Google die Entwicklung eigener Spiele als absolut notwendig erachtet, um die Stärken von Stadia voll auszuspielen. Man wolle Technologien und Möglichkeiten bieten und vorführen, die keine andere Plattform in der Form leisten kann. Ins Detail ist man nie gegangen, aber dass man schon jetzt einen Schlussstrich zieht, kann eigentlich nur eines bedeutet: Stadia hat keine Stärken. Stadia hebt sich nicht von der Konkurrenz ab und hat auch nichts, womit man in Zukunft glänzen könnte. Oder verstehe nur ich das falsch?
Ich denke, dass man schon jetzt bei der Weiterentwicklung von Stadia den Rotstift geschwungen hat und vielleicht das eine oder andere Top-Feature doch nicht bringt, mit dem man glänzen wollte. Kein Wunder, dass Jade Raymond das Unternehmen ohne Stellungnahme verlassen hat. Spieleentwicklung ist sehr komplex und dauert Jahre. Und wenn man dann immer wieder alles über den Haufen wirft, was bei Google ja keine Seltenheit ist, dann verlässt man irgendwann entnervt den Laden. Das ist meine ganz persönliche Interpretation.
Hat Google Stadia schon aufgegeben?
Google betont in der Ankündigung der Einstellung der Spieleentwicklung, das man sich auf seine Stärken als Plattformbetreiber besinnen möchte. Natürlich muss man das positiv verkaufen, aber zwischen den Zeilen steht etwas ganz anderes: Man möchte selbst keine Multi-Millionen-Dollar Titel entwickeln, weil es sich am Ende nicht rechnen wird. Das ist eine ganz einfache betriebswirtschaftliche Entscheidung. Andere Hersteller entwickeln auch für Stadia, aber Google wäre exklusiv an die eigene Plattform gebunden – was ein ganz anderes Kosten-Nutzen-Verhältnis ist.
Wenn man schon 14 Monate nach dem Start einer Plattform die Strategie vollkommen auf den Kopf stellt, dann ist das ein sehr klares Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Auch die Liste der kostenlosen Titel wurde immer länger, was zwar sehr schön für die Nutzer ist, aber auch als Eingeständnis gewertet werden kann, dass man ansonsten wohl gar keine Spieler binden könnte. Dass die Nutzer keine Spiele kaufen wollen, dürfte unter anderem den hart aufgebautem Image geschuldet sein, das man jetzt auch noch befeuert. Wenn die Plattform eines Tages eingestellt wird, ist auch die Spielebibliothek der Nutzer nichts mehr wert.
Ein verheerendes Signal
Bisher konnten die Stadia Games Studios noch nichts beweisen, aber das Aus der eigenen Spieleentwicklung hat eine verheerende Signalwirkung. Warum sollen die großen Spiele-Partner Geld in eine Plattform investieren, an die nicht einmal der Betreiber selbst glaubt? Von exklusiven Titeln ist man damit wiederum ganz weit entfernt. Wenn Google sich nicht für teures Geld einige große Spieleentwickler oder Marken sichert, wird das nichts mehr werden.
Aber auch aus Nutzersicht sollte man sich nun zwei Mal überlegen, ob man sich bei Stadia heimisch einrichtet oder doch besser zur etablierten Konkurrenz (die mit den Konsolen) wechselt. So wie bei vielen anderen Google-Produkten auch, würde ich kein Geld für den KAUF investieren. Mieten ja, also das monatliche Stadia Pro-Abo, aber um Himmelswille keine Inhalte kaufen, die nachher nichts mehr wert sind. Ich wiederhole: Das ist meine ganz persönliche Meinung.
Dem Spielestreaming gehört die Zukunft, aber wohl nicht auf einer Google-Plattform. Das ist das gleiche Problem wie bei den Messengern, das ich erst vor wenigen Tagen in diesem Artikel beschrieben habe. Gerade in diesem noch sehr jungen Markt muss man als Unternehmen Geduld haben und einen langen Atem beweisen, den Google bei neu gestarteten Produkten aber schon lange nicht mehr hat – schaut euch nur die lange Liste der eingestellten Produkte an.
Ich werde dann schon einmal den „RIP Stadia“ Artikel vorbereiten…