Google ist mit Android Auto sehr gut aufgestellt und potenziell auf vielen Hunderten Millionen Infotainment-Systemen in Fahrzeugen rund um die Welt zu finden – aber das wird kein dauerhafter Erfolg sein. Es zeichnet sich ab, dass die Fahrzeughersteller langfristig ein großes Wörtchen mitreden wollen und Googles neue Plattform Android Automotive nicht ohne Weiteres durchwinken. Der größte Konkurrent könnte tatsächlich aus Deutschland stammen.
Abgesehen von einigen Ausnahmen (Messenger & Social Networks) hat Google häufig einen sehr guten Riecher für Zukunftsmärkte und hat es dementsprechend durch die gute Aufstellung schon öfter geschafft, die eigenen Plattformen zu etablieren. Das gilt auch für den wichtigen Infotainment-Bereich im Auto, bei dem Google zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und eine gute Übergangslösung präsentieren konnte, um das Smartphone im Fahrzeug zu verwenden. Der nächste Schritt wird sehr viel schwerer.
Android Auto ist trotz der großen Verbreitung nur eine Übergangsplattform, das weiß Google und das wissen auch die Fahrzeughersteller. Die gesamte Plattform ist, so wie Apples Pendant CarPlay, aus der Not heraus geboren worden, das Smartphone bzw. dessen wichtigste Funktionen auch im Auto verwenden zu können. Der damalige Smartphone-Boom und die behäbige Auto-Industrie haben in diesem Punkt nicht zusammengepasst. Fünf Jahre später sieht das schon ganz anders aus.
Google arbeitet schon seit langer am großen Bruder Android Automotive, der sich allerdings deutlich tiefer in die Auto-Infrastruktur integrieren soll, was bei den Fahrzeugherstellern nicht unbedingt auf Begeisterung stößt. In der Vision soll es ein umfangreiches Infotainment-Betriebssystem werden, das gleichzeitig viele nicht sicherheitsrelevante Funktionen des Fahrzeugs steuern soll. Von der Klimaanlage über die Fensterheber bis zur umfangreichen Abfrage von Live-Informationen ist alles mit dabei – und das ist ohne die volle Unterstützung aus der Auto-Industrie nicht möglich.
In der Vergangenheit haben sich schon viele Hersteller skeptisch gezeigt und Googles großen Datenhunger hinterfragt, allerdings nicht über Alternativen gesprochen. Die größte Kritik kam damals von Volkswagen – und das waren nicht nur leere Worte. Kürzlich hat das Unternehmen die Entwicklung von VW OS als Open Source-Plattform verkündet, die tatsächlich für Google zum größten Konkurrenten werden dürfte.
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Volkswagen ist ein sehr ernst zu nehmender Konkurrent
Volkswagen hat kürzlich verkündet, mehrere Milliarden Euro in die Entwicklung von VW OS zu stecken und den Unterbau für diese Plattform nicht für sich selbst behalten zu wollen. Stattdessen soll eine Open Source-Plattform etabliert werden, die von allen Herstellern verwendet werden kann. Weil das Volkswagen-Betriebssystem grundlegend auf dem Android Open Source Project basieren soll, ist eine hohe Kompatibilität von Anfang an sichergestellt.
Vor einigen Jahren hätte man über eine solche Ankündigung vermutlich herzhaft lachen können, aber die Zeiten haben sich geändert. Auch die deutschen Hersteller haben die Relevanz der Software erkannt und betonen in diesen Tagen mehrfach in den Medien, die Entwicklung verschlafen zu haben und nun aufholen zu wollen. Und wenn der größte deutsche Autohersteller, der immer wieder abwechselnd an der Spitze des weltweit größten Autoherstellers steht, eine solche Ankündigung macht, dann hat das auch eine Signalwirkung.
Volkswagen wird nicht viele Milliarden Dollar in die Hand nehmen und sich auf die Entwicklung der eigenen Plattform konzentrieren, um dann eines Tages doch zu Googles Plattform zu wechseln. Damit ist einer der wichtigsten potenziellen Partner für Google schon einmal verloren. Dabei geht es natürlich auch um Reichweite und Präsenz, denn in Zukunft wird auch die Software eine größere Rolle beim Autokauf spielen, die heute eher nebensächliches Beiwerk ist. Wer VW OS, oder wie es auch immer heißen wird, gewohnt ist, der wird dann wohl dabei bleiben wollen.
Die Deutschen halten (wahrscheinlich) zusammen
Natürlich ist sich VW darüber im Klaren, trotz der Marktmacht keine eigene Plattform durchsetzen zu können und wählt aus diesem Grund den Open Source-Ansatz, der schon bei Google mehrfach zum Erfolg geführt hat. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die deutschen Hersteller zusammenhalten werden und die Plattform gemeinsam entwickeln. Dass man auch mit der Konkurrenz in wichtigen Bereichen kooperieren kann, hatte sich schon damals bei der Übernahme der Here-Kartenplattform durch mehrere Hersteller gezeigt. Und VW ist mit seinen zahlreichen Marken und Kooperationen global sehr gut aufgestellt, um diese Plattform zumindest bei sehr vielen Herstellern ins Spiel zu bringen.
Die sehr langen Entwicklungszeiten in der Auto-Industrie sind in diesem Fall ein Vorteil für die Hersteller, denn sie haben genügend Zeit, sich nicht von Google abhängig zu machen – so wie es die Smartphone-Hersteller damals aus Zeitdruck getan haben. Und wenn die breite Unterstützung der Autohersteller erst einmal fehlt, wird Google es nicht leicht haben. Gut möglich, dass Android Automotive, das bereits heute in ersten Fahrzeugen zur Verfügung steht, von Beginn an in der Nische sein wird.
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Google hat Mittel und Wege – aber wie stark sind sie?
Natürlich hat Google zahlreiche Hebelchen und Stellschrauben, um es der Konkurrenzplattform schwer zu machen. Es wäre für das Unternehmen sehr leicht möglich, die Android-Smartphones inkompatibel zu machen oder die Verknüpfung absichtlich zu sabotieren (so wie damals YouTube im Firefox ständig Probleme hatte). Auch der Google Assistant, die Kartenplattform Google Maps und andere Dinge werden natürlich mit Android Automotive sehr viel besser funktionieren als auf anderen Plattformen. Aber werden sich die Käufer eher für das Auto oder für die Google-Produkte entscheiden? Letzte haben sie ohnehin auf ihren Smartphones.
Meiner Meinung nach wird es im Auto-Sektor in den nächsten Jahren sehr sehr interessant werden und die Weichen für die Zukunft gestellt. Haben sich die Hersteller erst einmal in die Google-Abhängigkeit begeben, kommen sie da nicht mehr heraus. Haben sie aber von Beginn an starke alternative Lösungen im Gepäck, sieht das schon ganz anders aus. Die Zeit ist auf der Seite der Hersteller, denn ausgerechnet Google stellt mit Android Auto die Lösung zur Verfügung, mit der sich der Übergang lang ziehen lässt.
Das nächste Thema sind dann natürlich die autonomen Fahrzeuge, die sich früher oder später etablieren werden. Das Fahren hat zwar nichts mit der Infotainment-Plattform zu tun, aber langfristig werden die Grenzen sehr fließend sein – Sicherheitsgedanken hin oder her. Die Google-Mutter Alphabet ist gut aufgestellt, aber in allen Bereichen auf starke Partner in der Auto-Industrie angewiesen. Eine spannende Entwicklung, bei der ich gerne zehn Jahre in die Zukunft blicken würde 🙂