Google hat sich mit der Spieleplattform Stadia sehr große Ziele gesetzt und wollte nicht weniger als die gesamte Spielebranche revolutionieren. Gut sieben Monate nach dem Start bäckt man deutlich kleinere Brötchen, denn die damaligen Aussagen und großen Ankündigungen sind längst nicht mehr zu hören. Zeit für eine Momentaufnahme zwischen den Erwartungen und dem tatsächlichen Stand Mitte Juni 2020.
Google hat sich den Einstieg in den Spielemarkt wahrlich nicht leicht gemacht, denn Hinweise und Gerüchte gab es schon seit sehr vielen Jahren und hinter den Kulissen dürfte man auch sehr lange an Konzepten und Geschäftsmodellen gearbeitet werden. Erst Ende 2018 wurden die Gerüchte dann konkreter, die Hinweise deutlicher und spätestens Anfang 2019 war dann klar, dass Google die Fühler in Richtung des Spielemarkts ausstreckt. Bis zur Ankündigung war aber völlig unklar, was uns eigentlich erwartet.
Wenn Google in einen völlig neuen Markt einsteigt, dann ist das grundsätzlich für alle Teilnehmer in diesem Segment interessant: Die Nutzer hoffen auf Innovationen, die Partner auf neue Chancen und die zukünftige Konkurrenz ist besorgt (wenn natürlich auch nicht öffentlich). In den Tagen rund um die Stadia-Ankündigung war das sehr ähnlich, wenn auch deutlich verhaltener als bei anderen Produkteinführungen – und bisher sollten die Kritiker recht behalten.
Dass die Interessen aller Beteiligten bei Stadia in völlig andere Richtungen laufen, haben wir schon vor einigen Tagen ausführlich analysiert. Aber Google hat es der Plattform nicht nur durch den sturen Zeitplan schwer gemacht, sondern auch durch Marketingfehler zu Beginn sowie einigen Aussagen und Versprechen, die einfach nicht zu halten waren. Genau um diese Aussagen und Suggestionen soll es in diesem Artikel gehen.
Stadia wird trotz der aktuell nicht unbedingt aussichtsreichen Lage mit Sicherheit weiterentwickelt und Google wird unabhängig von den Erfolgen noch sehr lange daran festhalten – alles andere wäre selbst für Google unvorstellbar – aber vielleicht hat man durch die Zurückhaltung und Konzentration auf das Wesentliche nun endlich den richtigen Weg gefunden.
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Eine Milliarde Spieler! Mindestens!!!einseinself!
Anfang bis Mitte 2019 war Google im Stadia-Fieber, denn es wurden häppchenweise immer neue Informationen zur Plattform herausgegeben und sehr viel über das Produkt gesprochen, dessen endgültige Eckdaten erst wenige Wochen vor dem Start vollständig bekannt waren, gesprochen. Im Zuge dessen ließ sich ein Produktmanager zu einer Aussage hinreißen, die zwar viel Beachtung gefunden hat, rückblickend aber eher kontraproduktiv gewesen sein dürfte.
Es hieß, dass Google mindestens eine Milliarde Spieler für Stadia anpeilt. Sollte man das nicht erreichen, wäre man sehr enttäuscht und hätte wohl etwas falsch gemacht. Soweit die Aussagen gegenüber den Medien. Nun, es sind zwar keine offiziellen Zahlen bekannt, aber aktuell dürfte man wohl weit von der zehnstelligen Spielerzahl entfernt sein. Mit dieser Aussage wurde unnötig viel Druck aufgebaut und jeder kommende Erfolg schon vorab im Keim erstickt. Angenommen, Stadia hätte nach einem zehn Millionen Spieler gehabt. Eine wahnsinnige Zahl, aber im Vergleich zur angepeilten Milliarde gerade einmal ein Prozent.
Klar, bei Google geht vieles schnell in die Superlative. Android, Chrome, YouTube, Websuche, GMail. Alles Produkte mit weit über einer Milliarde Nutzer – und in dieser Reihe sieht sich auch Stadia. Langfristig kann natürlich viel passieren und die irgendwann kommende YouTube-Anbindung wird ohne Frage einen enormen Schub geben. Aber bis zur Milliarde müssten wohl Sony, Microsoft und die neuen Konkurrenten so viele existenzielle Fehler machen, dass die Wahrscheinlichkeit gegen Null geht.
Mit Stadia IMMER und ÜBERALL spielen
Das ist das Grundkonzept von Stadia. Egal ob Smartphone, Tablet, Fernseher oder Computer – Stadia soll überall laufen. Grundlegend hat man das in die Tat umgesetzt, aber die suggerierte grenzenlose Freiheit ist längst nicht gegeben. Natives Spielen auf dem Fernseher dürfte erst mit dem neuen Android TV kommen, die Liste der offiziell unterstützten Smartphones ist weiterhin kurz und auch auf dem PC gibt es noch Einschränkungen.
In den letzten Wochen wurden immer mehr Einschränkungen fallen gelassen, aber wer einem solchen Werbeversprechen ein ganzes Event einräumt und dies bis heute suggeriert, sollte es auch von Beginn an liefern. Nicht erst irgendwann. Das gilt leider auch für die Anbindung an YouTube und den Google Assistant, die das Ganze erst zu einer echten Killer-Plattform machen.
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120 neue Spiele bis Jahresende
Anfang des Jahres hat Google versprochen, im Laufe dieses Jahr mindestens 120 neue Spiele auf die Spieleplattform zu bringen. Dafür sieht es aktuell ganz gut aus, denn nahezu im Wochentakt werden neue Spiele angekündigt und die Liste der für Herbst / Winter angekündigten Titel sowie neuer Partner ist recht lang. Vielleicht wird man sich nicht exakt auf die eine Zahl festnageln, aber dass Stadia bis Jahresende eine deutlich im dreistelligen Bereich liegende Zahl Spiele anbietet, halte ich für sehr realistisch. Trotz Corona.
Die revolutionären Stadia-Titel
Google hat versprochen, völlig neue Möglichkeiten mit Stadia bieten zu wollen. Durch die Cloud-Server, Anbindung von Google Assistant, YouTube und Google Maps sowie neuen Technologien möchte man exklusive Spiele bieten, die auf anderen Plattformen in der Form gar nicht möglich sind. Bis auf schwammige Ankündigungen ist davon aber leider noch nichts zu sehen, weder konkrete Beispiele noch Hinweise auf diese revolutionären Technologien.
Natürlich, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, aber wenn man zum Start der Plattform wenigstens einen (!) Titel gehabt hätte, der die Leute vom Hocker haut, sähe die Stadia-Welt vielleicht ganz anders aus. Ein absolut begeisternder Titel und DANN das Versprechen auf mehr sähe ganz anders aus als nur Marketing-Versprechen, denen man nicht entnehmen kann, ob tatsächlich alle so toll wird, wie es suggeriert wird.
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Google hat mit Stadia noch einen sehr weiten Weg vor sich, in jeder Hinsicht. Dass selbst die Öffnung der Spieleplattform und der Start des kostenlosen Angebots zu keiner Nutzerexplosion, sondern nur einer leichten Steigerung, geführt hat, zeigt, dass noch sehr viel Arbeit vor den Entwicklern und der Marketing-Abteilung liegt. Aber ich ganz persönlich zuversichtlich, dass Stadia auch 2023 und darüber hinaus existieren wird.