Huawei: Android geht auch ohne Google – wie stehen die Chancen für das dritte große Ökosystem?
Huawei möchte Google endgültig den Rücken kehren und ein drittes Ökosystem auf dem Smartphone-Markt aufbauen – so hat es die österreichische Niederlassung des Unternehmens zumindest vor wenigen Tagen in einem Interview verkündet. Tatsächlich ist dieser Schritt gar nicht so überraschend und war seit langer Zeit absehbar. Aber welche Chancen hätte ein Huawei-Ökosystem, das immerhin gegen Google und auch Apple antreten und bestehen muss?
Der Smartphone-Markt kennt seit vielen Jahren nur zwei Betriebssysteme: Android und iOS. Zwischenzeitlich gab es zwar auch Windows Phone, es kam aber nie über einen sehr niedrigen einstelligen Marktanteil hinaus, den Microsoft noch dazu mit mehreren Milliarden Dollar teuer erkauft hat. Es ist absolut nicht absehbar, dass sich an diesem Duopol in den nächsten Jahren etwas ändert, denn auch wenn die Nutzer gerne schimpfen, sind sie im Großen und Ganzen wohl doch recht zufrieden.
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Huawei musste sich zwangsweise vor gut acht Monaten von Google verabschieden und kann aufgrund des US-Banns keine neuen Android-Lizenzen mehr für neue Geräte erhalten. Das bedeutet, dass es keinen Play Store, keine Play Services und auch keine vorinstallierten Google-Apps geben wird. Die Apps würden sich zwar über Umwege nachträglich installieren lassen und selbst der Play Store und die Play Services sind mit etwas Know-How nachträglich installierbar, aber das kann man vom Durchschnittsnutzer nicht verlangen.
Es ist also nur konsequent, dass sich Huawei nun endgültig von Google distanzieren möchte und selbst bei einer Aufhebung des US-Banns nicht mehr zum einstigen Partner zurückwechseln möchte. Stattdessen bastelt man seit einigen Monaten fleißig an einem eigenen Ökosystem und hatte sich auch vor dem Bann schon auf ein solches Szenario vorbereitet. Das wurde in den Jahren zuvor immer wieder betont und durch die schnellen Lösungen in einigen Bereichen gewissermaßen auch bestätigt.
Nun soll es also ein eigenes Ökosystem sein, mit dem Huawei nicht nur Google ersetzen, sondern dem einstigen Partner auch echte Konkurrenz machen möchte. Man möchte gegen Google und Apple antreten, um eine dritte Kraft am Smartphone-Markt zu etablieren. Dass das keine leichte Aufgabe ist, ist den Chinesen natürlich bewusst.
In fast allen Bereichen gibt es Alternativen zu den Google-Produkten aber insbesondere die drei Leuchtturm-Produkte Google Play Store, Google Play Services und Google Maps sind praktisch nicht ersetzbar. Darin stecken so viele Jahre Aufbauarbeit, dass sich das selbst mit mehreren Milliarden Dollar Budget und zahlreichen Partnern nicht über Nacht nachholen bzw. nachbauen lässt. Welche Chancen kann ein Huawei-Ökosystem also überhaupt haben?
Viele Nutzer sind mit Sicherheit dazu bereit, auch mal etwas Neues auszuprobieren und zahlreichen Google-Produkten den Rücken zu kehren – sofern die Alternative keinen Komfortverlust mit sich bringt oder sogar neue Will-Ich-Unbedingt-Haben-Funktionen bietet. Davon müssen wir einfach mal ausgehen, denn wie sonst sollte man überzeugte Nutzer eines beliebten Produkts für sich gewinnen? Nehmen wir nun also an, dass Huawei genau das gelingt und sich für einige Google-Produkte gute Alternativen finden.
Die neuen, fiktiven, Huawei-Produkte werden wohl nur auf den Huawei-Smartphones zur Verfügung stehen und somit eine deutlich eingeschränktere Zielgruppe als die Google-Produkte haben. Aber wird es auch Webversionen geben um wenigstens plattformübergreifend vertreten zu sein? Die meisten aktuell bekannten Produkte scheinen außerdem auf Partnerschaften mit externen Unternehmen aufzubauen, so wie TomTom als Google Maps-Ersatz oder Aptoide als Play Store-Alternative. Schafft man sich damit nicht schon wieder eine Abhängigkeit? Was ist, wenn – rein fiktiv – Google TomTom übernimmt?
Die Nutzer müssten natürlich auch erst einmal davon überzeugt werden, viel Geld für ein Smartphone ohne Google-Dienste auszugeben und die Huawei-Alternativen einfach mal in vollem Umfang auszuprobieren. Das ist eine sehr wichtige Hürde, die die meisten Nutzer vermutlich trotz sehr guter (wieder fiktiver) Kritiken der Apps nicht bereit sind zu nehmen. Ein Smartphone ist zwar ein Alltagsgegenstand, durch die hohe Preisgestaltung aber dennoch ein Luxus-Gegenstand. Noch dazu einer, den man Dutzendfach pro Tag nutzt. Das muss einfach passen.
Was ist mit China?
Die nächste große Frage ist, für wen Huawei überhaupt an den Alternativen bastelt? Den US-Markt kann man in den nächsten Jahren sowieso vergessen, der europäische Markt hat viele Hürden und die Chinesen sind mit den etablierten Produkten der chinesischen Unternehmen ohnehin glücklich und brauchen keine Alternative. Huawei würde also auch weiterhin zwei getrennte Ökosysteme bedienen müssen – und ausgerechnet das eigene Ökosystem, die dritte große Kraft am Smartphone-Markt, würde im Heimatland keine Verwendung finden. Das Heimatland ist noch dazu der größte Markt überhaupt.
Es scheint also komplizierter zu sein als gedacht und je länger man (ich) darüber nachdenke, desto mehr Fragen und Hürden stellen sich.
Kann Huawei es besser als die Konkurrenz?
Für Huawei gibt es aufgrund des Google-Verlustes praktisch nur eine einzige Chance. Entweder es funktioniert und die eigenen Produkte werden angenommen oder man müsste fast schon zwangsweise aus dem Smartphone-Markt außerhalb Chinas aussteigen. Dabei darf man nicht vergessen, dass schon mehrere Riesenkonzerne versucht haben, ein Ökosystem neben Google zu etablieren. Da wären große Namen wie Amazon, Samsung, Microsoft und in Ansätzen auch Facebook zu nennen. Obwohl Geld gewissermaßen bei diesen Konzernen keine Rolle spielt, sind die Erfolge sehr überschaubar.
Warum sollte es also ausgerechnet Huawei gelingen, ein drittes Ökosystem neben Google zu etablieren? Die einzige Antwort die mir darauf einfällt, ist der chinesische Patriotismus. Abgesehen von Samsung und Apple ist der globale Smartphone-Markt mittlerweile fest in chinesischer Hand. OnePlus, Oppo, Vivo und Xiaomi könnten aus reinem Patriotismus und ebenfalls einer gewissen Risiko-Abwehr Google den Rücken kehren und eine gemeinsame Plattform mit Huawei bilden. Den Menschen außerhalb Chinas bleibt dann im Massenmarkt nach heutigem Stand kaum eine andere Wahl, als sich von Google zu verabschieden. Und an diesem Punkt kann es dann auch für Google sehr schnell sehr ungemütlich werden.
Auch für Google ist die ganze Angelegenheit ein zweischneidiges Schwert: Verliert man Huawei endgültig, könnte sich das Szenario im vorherigen Absatz ergeben. Bleibt Huawei bei den Google-Diensten, ist der Aufstieg zum weltgrößten Smartphone-Hersteller kaum aufzuhalten. Das bedeutet, dass Huawei eine noch größere Bedeutung für Android bekommt und dann bei einem plötzlichen Verlust der Schaden umso größer wäre. Eine komplizierte Angelegenheit für alle Seiten, bei der wohl niemand vorhersagen kann, welche langfristigen Auswirkungen zu erwarten sind…
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Huawai, sollte seinen eigenen Weg gehen und es nun auch durchziehen. Als Browserersatz wäre Opera gut geeignet, der ja jetzt sowieso schon in chinesischer Hand ist.
Eigentlich gibt es für jeden Google-Dienst eine Alternative. Oft mangelt es nur am Marketing.
Wenn Huawai ebenfalls Sideloads von App zulässt, werde ich definitiv ein Google-freies Gerät testen. So was habe ich mir schon immer gewünscht.