Schon seit über einem halben Jahr ist Huawei nicht mehr dazu in der Lage, ein neues Smartphone mit vorinstallierten Google-Diensten auf den Markt zu bringen. Davon will man sich aber nicht unterkriegen lassen, sondern nimmt die neue Situation zur Kenntnis und macht erst einmal genauso weiter wie bisher und arbeitet gleichzeitig an neuen Lösungen. Jetzt hat man das Huawei Mate 30 Pro in Deutschland auf den Markt gebracht und lotet die Chancen für die Zukunft aus. Das wird noch sehr interessant werden.
Die US-Regierung untersagt Google seit dem Beginn des Huawei-Banns jegliche Geschäfte mit dem chinesischen Unternehmen. Das bedeutet, dass Google keine neuen Huawei-Smartphones mehr lizenzieren darf. Das führt dazu, dass der Play Store und die zahlreichen Google-Dienste nicht mehr auf den Huawei-Smartphones vorinstalliert werden können. Eine Ausnahme bilden alle bereits in der Vergangenheit lizenzierten Geräte, die auch weiterhin produziert und verkauft werden können – aber gerade in der schnelllebigen Smartphone-Welt muss Huawei natürlich auch nachlegen.
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Das Huawei Mate 30 Pro ist das erste große Opfer des Handelskriegs zwischen den USA und China bzw. den vor allem auf Huawei fokussierten Streitigkeiten. Das Smartphone ist wenige Monate nach dem Beginn des Banns vorgestellt worden – ausgerechnet in Deutschland – und war natürlich mit Android als Betriebssystem, dem Google Play Store und auch den vielen Google-Apps konzipiert. Bei Android ist es geblieben, aber die Google-Dienste sind dort natürlich nicht zu finden.
Es war lange Zeit unklar, ob Huawei das Smartphone auch außerhalb Chinas auf den Markt bringen wird – aber in dieser Woche wurden Fakten geschaffen. Seit Donnerstag ist das Huawei Mate 30 Pro exklusiv bei Media Markt erhältlich und darf als Testballon für viele weitere Huawei-Geräte gesehen werden. Das Smartphone ist nicht ganz billig, verfügt aber über eine Top-Ausstattung und wäre ohne die aktuellen Umstände mit Sicherheit ein riesiger Erfolg.
Sollte sich das Smartphone nun in akzeptablen Stückzahlen verkaufen, wird Huawei die Strategie wohl weiter verfolgen. Schon vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das Huawei P40 weltweit ohne Google-Dienste erscheinen wird. Den Weg dafür bereitet man nun mit dem Mate 30 Pro, das die Huawei-Präsenz im Handel weiter in die Höhe hält. Spannend wäre es natürlich, wie hoch die Retourquote ist, wenn die Kunden merken, dass es keine Google-Dienste gibt.
Wie stehen die Chancen?
Alle Beobachter sind sich einig, dass es einfacher ist, einem Eskimo einen Kühlschrank zu verkaufen als ein Android-Smartphone ohne Google-Dienste. Zumindest gilt das in vielen Ländern außerhalb Chinas, in denen die Menschen ein Smartphone ohne Play Store, ohne Google Maps, Google Fotos, Drive und Co und in der Folge auch ohne Zugriff auf Facebook, Instagram und WhatsApp nicht akzeptieren. Huawei versucht es nun aber trotzdem und dürfte darauf hoffen, dass die Menschen die Apps nachträglich selbst installieren.
Es gibt aber auch eine kleine Gruppe von Nutzern, die sich von der Google-Dominanz befreien und ein Google-freies Smartphone kaufen möchten. Solche gibt es zwar schon seit langer Zeit am Markt, aber sie sind häufig sehr bescheiden ausgestattet. Mit dem Huawei Mate 30 Pro gibt es nun ein echtes Top-Gerät, das von Beginn an keinerlei Google-Dienste im Gepäck hat und somit auch kein Root erfordert, um sich von den vielen Apps des Suchmaschinen-Riesen zu befreien. Für diese Zielgruppe dürfte das Smartphone ein Nobrainer sein.
Die Frage ist natürlich, wie groß diese Gruppe ist. Vermutlich sind es nur einige wenige Zehntausend Menschen, die überhaupt ein solches Gerät in vollem Bewusstsein des Google-fehlens kaufen würden. Das mag für ein Startup ausreichen, aber für einen globalen Smartphone-Hersteller wie Samsung ist das kein lohnendes Geschäft, wenn man lediglich eine Palette im größten europäischen Land verkaufen kann – da ist der Aufwand höher als der Umsatz und erst recht als der Ertrag.
Nachträgliche Installation der Google-Dienste
In den vergangenen Wochen gab es Diskussionen darüber, ob die nachträgliche Installation der Google-Dienste auf dem Huawei Mate 30 Pro möglich ist oder nicht. Diese Frage konnte ganz klar mit JEIN beantwortet werden. Die Installation auf dem üblichen Weg per Download aller APKs und der Installation in der Reihenfolge funktioniert bei diesem Gerät nicht, weil grundlegende Google-Komponenten auf dem Smartphone fehlen, ohne die es nicht möglich ist. Viele Details dazu findet ihr in diesem Artikel.
Bastlern ist es aber dennoch gelungen, die Google-Apps nachträglich zu installieren, allerdings mit sehr viel Aufwand – den man dem durchschnittlichen Nutzer nicht zumuten und auch nicht zutrauen kann (das ist nicht wertend gemeint). Viele Menschen sind schon mit der Installation einer APK-Datei außerhalb des Play Stores überfordert, einen tiefen Eingriff in das System inklusive Anschluss an den Computer und der Eingabe von Befehlen in die Kommandozeile ist also nicht hinnehmbar. Wer es dennoch tun möchte, findet hier die Anleitung.
Läutet Huawei das Ende der Google-Dominanz ein?
Wir stellen also fest: Das Smartphone hat aktuell am Markt überhaupt keine Chance. Aber das ist bei neuen Geräten und Plattformen nichts Ungewöhnliches, denn das Gewohnheitstier Mensch möchte eben seine Google-Dienste. Wenn dann aber doch mal ein Smartphone ohne Google-Dienste in den Fingern landet, könnten viele Menschen feststellen, dass es genügend Alternativen außerhalb der Google-Welt gibt. Nicht alle Apps lassen sich problemlos ohne Komfortverlust ersetzen, aber viele. Auch der Play Store ist durch viele Alternativen verzichtbar.
Huawei könnte darauf hoffen, dass die ersten Nutzer dies bemerken und es sich herumspricht, dass es auch ohne Google gehen kann. Dabei muss nur eine kleine Maschinerie in Gang kommen, denn mit steigender Anzahl der Menschen, die auch mal nach Links und Rechts schauen, wird es auch eine größere Auswahl an qualitativ hochwertigen Apps geben. Das wird ein langer Prozess sein, den Google zu sabotieren wissen wird, aber irgendwann muss der Anfang gemacht werden.
Das Huawei Mate 30 wird Google also nicht interessieren, genauso wenig wie das Mate 40 und Mate 50, aber ab dem Mate 60 kann es dann schon irgendwann interessant werden. Die Frage ist nur, ob Huawei so lange durchhält oder mit den eigenen Alternativen schnell genug vorankommt. Eventuell bekommt man dabei auch Unterstützung von den chinesischen Konkurrenten. Vielleicht löst sich aber auch alles in Wohlgefallen auf und Google kann zeitnah wieder Geschäfte mit Huawei machen. Aber selbst in diesem Fall, dürfte sich Huawei nun Türen offen halten und Möglichkeiten schaffen wollen, auf erneute politische Schlammschlachten vorbereitet zu sein.