Die Woche hat für Google denkbar schlecht begonnen, denn nahezu alle US-Bundesstaaten haben Untersuchungen gegen Googles Geschäftsmodell angekündigt. Natürlich wird sich das Unternehmen kooperativ verhalten und vielleicht auch offen für geforderte Änderungen sein, aber in diesem Fall geht es doch um sehr viel mehr als ein möglicherweise hohe Geldstrafe. Es könnte große langfristig große Konsequenzen für das gesamte Unternehmen nach sich ziehen und viele Dinge unmöglich machen.
Viele Jahre lang wurden die großen IT-Riesen der USA rund um die Welt unter Beobachtung gestellt, haben immer wieder Verfahren über sich ergehen lassen und teilweise hohe Strafen gezahlt – allein Google hat schon knapp 10 Milliarden Euro an die EU gezahlt. In den USA hingegen gab es kaum Bedenken, denn natürlich tut die Dominanz von Google, Facebook, Amazon, Microsoft oder auch Apple der heimischen Wirtschaft sehr gut. Aber damit ist es vielleicht bald vorbei.
48 US-Staaten und zwei US-Territorien haben angekündigt, Google sehr genau unter die Lupe zu nehmen – nur der Heimatstaat Kalifornien sowie Alabama halten sich vorerst zurück, aber das kann sich natürlich noch ändern. Interessant daran ist, dass die Untersuchungen kein konkretes Ziel haben, sondern einfach das gesamte Unternehmen nach dessen Geschäftspraktiken durchleuchten. In erster Linie konzentriert man sich auf das Werbegeschäft, aber es wurde immer wieder betont, dass es auf weitere Bereiche ausgedehnt werden kann und soll.
Bei der Werbung zu beginnen, ist aus Sicht der Ermittler natürlich sinnvoll, denn Google finanziert sich laut den letzten Alphabet-Quartalszahlen zu 85 Prozent durch Werbung und dominiert diesen Markt im Web. Das gesamte Unternehmen ist also sehr stark von der Werbung abhängig, die wiederum so gute Ergebnisse erzielen kann, weil sie so perfekt wie möglich auf die Nutzer abgestimmt ist. Die Streuverluste sind sehr viel geringer als bei Offline- oder TV-Werbung.
Damit das funktionieren kann, muss das Unternehmen den Nutzer und seine Interessen sehr genau kennenlernen. Und um das zu ermöglichen, werden sehr viele Dienste kostenlos angeboten, die teilweise zur Datensammlung und dem Aufbau des Profils beitragen. Das ist Googles Geschäftsmodell.
Dieses Geschäftsmodell, kostenlose Produkte und Plattformen gegen Werbung und Daten, dominiert das Web seit vielen Jahren und hat dazu geführt, dass die Kostenlos-Kultur sehr stark verankert ist. Daran sind natürlich auch die Nutzer selbst schuld, denn sobald an einer Stelle Geld verlangt wird, springt die Masse ab und sucht nach kostenlosen Alternativen. Dass aber kein Administrator, Webentwickler oder Unternehmenslenker von Luft und Liebe leben kann, wird dabei immer wieder außer Acht gelassen.
Wissen ist Macht, mehr als je zuvor. Aber wir haben Beweise gesehen, wonach Googles Geschäftspraxis die Auswahl der Verbraucher eingeschränkt, Innovation behindert und die Privatsphäre der User verletzt und Google die Kontrolle über die Verbreitung von Online-Informationen verschafft haben könnte.
Wenn es keinen freien Markt oder Wettbewerb mehr gibt, erhöht das die Preise, selbst wenn etwas als gratis vermarktet wird, und schädigt Verbraucher. Ist etwas wirklich gratis, wenn wir immer mehr Informationen aus unserer Privatsphäre hergeben?
Doch genau das stellen die Senatoren in Frage, denn sie sind mit diesem Austausch nicht mehr zufrieden bzw. sind der Meinung, dass die Nutzer besser geschützt werden müssen. Damit springt man auf den Zug auf, der von der EU ins Rollen gebracht wurde und schon seit Jahren bei vielen Menschen für Kopfschütteln (aber bei vielen anderen auch für Zustimmung) sorgt. Doch wenn diese Modelle erschwert oder gar in irgendeiner Form eingeschränkt oder verboten werden, hat das für Google und auch das gesamte Web verheerende Konsequenzen.
Wollen die Menschen überhaupt geschützt werden?
Der Dreh- und Angelpunkt bei allen Untersuchungen und Verfahren ist es immer, dass die Nutzer vor den bösen Konzernen geschützt werden sollen, die sie ausspionieren. Allerdings ist heute jedem Nutzer klar, dass die vielen Produkte von Google, Facebook und Co. irgendwie finanziert werden müssen, dass die Werbung auf sie abgestimmt ist und dass alle Daten in irgendeiner Form verwendet werden. Ohne Daten funktioniert es nicht. Denn wie viele Nutzer wären bereit, den Gegenwert in Euro oder Dollar zu bezahlen? Vielleicht immer mehr Menschen, aber nicht die große Masse um daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell zu etablieren.
Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren sehr stark nachgelegt und Google informiert über alle gesammelten Daten sehr genau. Die Nutzer werden sogar darüber informiert, wo sie sich informieren können. Reicht das nicht aus? Was ist, wenn die Nutzer diese Daten gerne weitergeben um alles weiterhin kostenlos nutzen zu können? Was ist, wenn die Nutzer sehr genau wissen, dass viele Personalisierungen nur mit diesen Daten möglich sind. Warum soll das verboten und die großen Vorteile der IT-Welt beschnitten werden? Daran hat noch niemand gedacht.
Langfristig könnte diese Datensammlung soweit eingeschränkt werden, dass die Werbung nicht mehr ganz so zielgerichtet sein kann – was dann wiederum zu großen Umsatzeinbrüchen bei den Unternehmen führt. Doch Google muss 200.000 Mitarbeiter bezahlen und die Kosten steigen immens an. Wenn der Umsatz plötzlich stark zurückgeht, kann sich das nicht lange tragen. Schlussendlich würde vieles zusammenbrechen, von dem heute noch viele Nutzer profitieren.
Natürlich geht es auch ohne große Datensammlung, das zeigt insbesondere Apple derzeit mit der großen Charme-Offensive in Richtung Datenschutz und Privatsphäre – aber Apple hat auch ein völlig anderes Geschäftsmodell. Apple hat viele Menschen um sich versammelt, die dafür bereit sind, für Dienste zu bezahlen. Das gilt aber nicht für alle Menschen, sondern eben nur für einen vergleichsweise kleinen Teil. Alle anderen, die nicht zahlen wollen oder es einfach aus finanziellen Gründen nicht können (diese Gruppe ist nicht zu unterschätzen) sind ausgesperrt.
Was auch immer bei den Untersuchungen und den schlussendlich wohl anstehenden Verfahren herauskommt – am Ende wird der Nutzer der große dumme Verlierer sein. Eine Zerschlagung Googles steht schon seit langer Zeit im Raum. Doch ohne das möglicherweise ausgelagerte Werbegeschäft oder die Suchmaschine wären Produkte wie Google Fotos, GMail, Google Drive, YouTube oder auch Android und der Chrome-Browser nicht finanzierbar.
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