Vor wenigen Tagen hat Huawei das Mate 30 vorgestellt und damit nicht nur die nächste Generation der erfolgreichen Smartphone-Linie gezeigt, sondern auch eine neue Ära eingeleitet – wenn auch unfreiwillig. Huawei wird sich zwar allergrößte Mühe geben, den Verlust der vielen Google-Dienste zu kompensieren, aber die Chancen auf Erfolg sind doch sehr gering. Und somit steht die Frage im Raum, ob sich Huawei nicht besser vom europäischen Markt zurückziehen sollte. Das kann langfristig auch eine Chance sein.
In den vergangenen Monaten wurde aufgrund des US-Banns sehr viel über Huaweis Zukunft spekuliert und während viele Nutzer in der Schwarzmalerei eine Panikmache gesehen haben, sollten die Pessimisten doch vorerst recht behalten: Huawei hat nun tatsächlich das erste Smartphone vorgestellt, das außerhalb Chinas ohne Google-Dienste auf den Markt kommen soll. Damit ist genau das eingetreten, was zum Anfang niemand für möglich gehalten hätte.
Es hatte sich schon zuvor abgezeichnet: Das Huawei Mate 30 wird ohne Google-Dienste vorgestellt und aufgrund dieser sehr starken Einschränkung soll es auch in vielen europäischen Ländern nicht erhältlich sein. Tatsächlich kam es dann auch so, obwohl sich Huawei noch nicht abschließend zur geplanten Verfügbarkeit geäußert hat, ist Deutschland zumindest zu Beginn erst einmal nicht unter den Ländern, in denen das Gerät verkauft wird. Und das, obwohl es in München präsentiert wurde.
Google-Dienste lassen sich nicht nachinstallieren
Immer wieder wurde von vielen Nutzer propagiert, dass sich die Google-Dienste sehr leicht herunterladen und nachträglich installieren lassen, so wie das etwa auch bei den Amazon-Tablets möglich ist. Theoretisch ist das korrekt, aber in der Praxis sieht das etwas anders aus. Wie wir erst kürzlich berichtet haben, lassen sich die Google-Apps kaum nachinstallieren, weil eine dafür notwendige Voraussetzung auf den Smartphones nicht gegeben ist. Das macht es nicht vollständig unmöglich, steigert den Aufwand aber sehr sehr erheblich.
Selbst Nutzer mit Ahnung von der Materie dürften nicht unbedingt die Lust verspüren, die Google-Dienste mit viel Aufwand nachzuinstallieren und für die Masse der Nutzer ist das schon Mal kein Thema. Doch Huawei ist ein Massen-Hersteller und kann von einigen Tausend oder Zehntausend verkauften Geräten nicht leben. Mittlerweile gibt es zwar Berichte über entsperrte Bootloader, aber der Aufwand für den Nutzer bleibt dennoch.
Das Huawei Mate 30 ist keine Ausnahme
Das Huawei Mate 30 ist das erste Smartphone dieser neuen Ära, aber es wird längst nicht das Letzte sein. Beim neuen alten Huawei P30 konnte man noch tricksen, aber das wird für alle kommenden Smartphones nicht mehr möglich sein. Huawei wird 2020 und vielleicht auch noch 2019 weitere neue Smartphones vorstellen, die allesamt nicht von Google lizenziert werden können und somit ohne den Play Store, die Play Servics und die vielen Google-Dienste ausgeliefert werden.
Die Möglichkeit zur nachträglichen Installation der Google-Dienste war bisher der Strohhalm, an den sich Fans und Beobachter klammern konnten, aber das wird wie bereits gesagt kaum möglich sein und eine solch große Hürde darstellen, die von den Nutzern nicht zu überwinden ist. Die vielfach erwähnten Google-Downloader oder Tutorials in Zeitungen oder im Web sind somit hinfällig – und somit kann Huawei auch nicht damit rechnen, dass die Fans und die Fachpresse das irgendwie regeln oder das Unternehmen unterstützen werden.
Ohne Google-Dienste hat Huawei in Europa keine Chance
Das große Problem für Huawei ist es, dass der Play Store und die Google-Dienste genau die Zugpferde sind, die die Käufer wollen. Huaweis neues Betriebssystem Harmony OS verläuft damit komplett im Sande, denn ohne Play Store kann Huawei auch einfach weiterhin die offizielle Android-Version verwenden, was ohne Google-Lizenzierung problemlos möglich ist. Doch den Play Store wird man niemals ersetzen können, selbst wenn man die angekündigten eine Milliarde Dollar tatsächlich in die Förderung alternativer Apps stecken wird.
Selbst wenn sich Tausende Entwickler finden und Zehntausende oder Hunderttausende Apps entwickeln und in Huaweis App Gallery anbieten werden, werden die Nutzer niemals das vorfinden, was sie erwarten: Google Maps, GMail, Chrome, die Websuche, Google Fotos mit dem ständigen Backup, Google Pay und vieles mehr. Aber es nicht nur Google, sondern auch die Facebook-Plattformen werden aufgrund der Handelsbeschränkungen nicht ihren Weg in die Huawei App Gallery finden können. Neben den Google-Diensten müssen die Nutzer also auch auf Facebook, Instagram und WhatsApp verzichten. Wenn man es genau betrachtet, sind die Facebook-Apps sogar mächtiger als Googles Apps.
Rückzug aus Europa?
In der aktuellen Situation haben Huawei-Smartphones also absolut keine Chance auf hohe Verkaufszahlen in Europa und vielen anderen Ländern außerhalb Chinas. Natürlich werden sich Gruppen finden, die endlich ihr Google-freies Flaggschiff erhalten werden, aber sowohl innerhalb als auch außerhalb der Tech-Blase kann man diese mit der Lupe suchen. Und auch diese endlich von Google befreite Gruppe wird den Play Store und die große App-Auswahl wohl irgendwann schmerzlich vermissen. Google, Facebook, Amazon, Microsoft – alles US-Unternehmen, die ihre Dienste nicht bei Huawei anbieten können.
Wie bereits gesagt, kann ein Konzern wie Huawei nicht davon leben, einige Zehntausend Smartphones in jedem Land zu verkaufen – das rechnet sich hinten und vorne nicht. Und so bleibt dem Konzern eigentlich nur das, was nun mit dem Mate 30 begonnen wird: Der Rückzug aus Europa. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in der Zentrale in China nicht bereits diskutiert wird. Denn sowohl der CEO als auch die Pressestelle hatten mehrfach betont, nicht mit einem schnellen Ende des US-Banns zu rechnen. Ergo, kann man die Zelte abbrechen.
Rückzug zum Schutz der Marke
Natürlich würde dieser Rückzug sehr schmerzen, die Umsätze einbrechen lassen und das Ziel der Smartphone-Herrschaft erst einmal in weite Ferne rücken – aber es wäre auch eine logische Konsequenz. Wie sagt man so schön – man sollte auf dem Höhepunkt aufhören und nicht darauf warten, irgendwann von der Bühne getragen zu werden. Wenn Huawei nun abtritt, wird das Unternehmen den Fans mit sehr soliden Top-Smartphones in Erinnerung bleiben. Bleibt man etwas länger, dann sind es die tollen Smartphones ohne Google-Dienste.
Hier lässt sich eine Parallele zu Nokia ziehen, die bis zum vorläufigen Ende in puncto Hardware viele Fans hatten, aber durch das Festhalten an Symbian und später Windows Phone einfach nicht mehr gekauft wurden. Nokia hat das Comeback mittlerweile geschafft, weil die Marke sehr stark ist – und genau das kann Huawei auch gelingen. Wenn der tobsüchtige US-Präsident in spätestens fünf Jahren das Weiße Haus verlassen hat, könnte sich die Lage schnell wieder bessern. Wenn man dann mit den Google-Diensten ein großes Comeback feiert, kann es schnell wieder an die Spitze gehen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass Android und Google in fünf Jahren noch immer populär sind.
Die nächsten Monate werden spannend
Es wird sehr interessant, wie Huawei mit dem Testballon Mate 30 weiter verfahren wird. Bringt man das Smartphone doch noch nach Europa? Versucht man es vollständig mit der App Gallery? Findet man eine juristische Lücke zur Verwendung der Google-Dienste? Es wurde bereits spekuliert, dass Porsche das Smartphone herausbringen könnte, weil es das bekannte Porsche-Design gibt. Wir werden sehen, es ist eine sehr spannende Situation.
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