Google hat schon vor einigen Jahren das Auto für sich entdeckt und hat Android Auto mithilfe der Hersteller in viele Millionen Fahrzeuge gebracht. Die Plattform gewinnt für Google aus vielen Gründen zunehmend an Bedeutung und deshalb wird schon seit längerer Zeit an einem deutlich stärkeren Nachfolger bzw. großen Bruder gearbeitet: Android Automotive. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen Android Auto und Android Automotive?
Eine der ältesten und lukrativsten Technologie-Branchen befindet sich im völligen Umbruch und die etablierten Hersteller (gefühlt allen voran die deutschen) haben viele Entwicklungen verschlafen: Als erstes das auch politisch stark aufgeladene Thema Elektromobilität, bei dem die Hersteller endlich langsam in die Gänge kommen. Das Zweite Thema ist das autonome Fahren, das in gar nicht all zu ferner Zukunft sehr schnell eine große Bedeutung bekommen könnte. Das Dritte ist die zunehmende Digitalisierung des Fahrzeugs.
Das Infotainment-System befindet sich im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt eines modernen Fahrzeugs und ist heute sehr viel mehr als nur die Steuerung der Musikanlage oder die Routenplanung. Einige Hersteller setzen auf gebrandete Standard-Lösungen, andere entwickeln vollkommen eigene Systeme und Oberflächen, mit denen der Nutzer in den meisten Fällen per Touch interagiert. Das bedeutet allerdings, dass es unzählige verschiedene Lösungen mit unterschiedlichen Oberflächen und einem nicht einheitlichen Funktionsumfang gibt. Erschwerend kommt dazu, dass für einige Dinge wie z.B. der Telefonie ein angeschlossenes Smartphone benötigt wird.
Das ist Android Auto
Google möchte, so wie einige andere Anbieter auch, Ordnung in dieses Sammelsurium bringen und hat dafür im Jahr 2015 Android Auto erschaffen. Dabei handelt es sich gewissermaßen um eine vom angeschlossenen Smartphone gesteuerte App, die die Darstellung der Oberfläche auf dem Infotainment-System übernimmt. Das in vielen Fällen nicht gerade günstige Infotainment-System im Auto wird also zum reinen Display degradiert, während die gesamte Logik auf dem Smartphone stattfindet.
Google hat Android Auto erst kürzlich ein großes Redesign verpasst, das aber nichts am Status Quo verändert hat. Android Auto ist und bleibt lediglich eine auf das Infotainment-System projizierte Oberfläche, die ohne Smartphone nicht nutzbar ist und direkt nach dem Abziehen des Kabels oder dem Lösen der kabellosen Verbindung verschwindet.
Das ist Android Automotive
Android Automotive ist ebenfalls eine alternative Oberfläche für das Infotainment-System, allerdings in Form eines eigenen Betriebssystems mit tieferen Wurzeln in die Fahrzeug-Infrastruktur. Nicht falsch verstehen: Android Automotive ist kein Betriebssystem für das Auto, sondern nur für das verbaute Infotainment-System und dessen Fühler in einige weitere Bereiche der digitalen Architektur im Fahrzeug. Das System ist grundlegend nicht auf eine Verbindung zum Smartphone angewiesen, sondern läuft autark auf dem Display im Fahrzeug.
Diese Umsetzung hat viele Vorteile, denn zum einen ist die ständige Verbindung mit dem Smartphone nicht nur „unnötig“, sondern es können sehr viel mehr Informationen erfasst und auch Funktionen gesteuert werden. Das hängt aber auch sehr stark davon ab, wie tief Android Automotive in das Informationssystem des Fahrzeugs eingreifen kann und darf. Dazu gibt es, weil Automotive noch nicht offiziell vorgestellt wurde, noch keine gesicherten Angaben. Viele Informationen und Fotos findet ihr in diesem Artikel. Einen Vergleich mit dem zukünftigen großen Konkurrenten Tesla und dessen Benutzer-Oberfläche seht ihr in diesem Artikel.
Android Auto vs. Android Automotive
Während Android Auto also alle Informationen vom Smartphone beziehen muss, sitzt Automotive direkt an der Quelle. Das beginnt beispielsweise schon bei der Navigation und der aktuellen Geschwindigkeit. Während das Smartphone ständig die GPS-Daten und Sensoren auswerten muss, weiß das interne Informationssystem des Fahrzeugs, wie schnell es gerade unterwegs ist. Mit Zugriff auf einige Steuerungsdaten weiß es so auch über einen längeren Zeitraum ohne GPS-Daten sehr genau, wo sich das Fahrzeug befindet oder in welche Richtung der Fahrer gelenkt hat.
Aber nicht nur die bereits vorhandenen Bereiche werden optimiert, sondern es werden ganz neue Möglichkeiten geboten: Die Steuerung der Klimaanlage, die Anzeige der aktuellen Temperatur Innen und Außen, in einigen Demonstrationen die Steuerung der Fensterheber oder der Innenbeleuchtung und einiges mehr. Alles das, was sich ohne Gefahr für den Straßenverkehr und den Fahrer steuern lässt. Durch all die neuen Möglichkeiten wird sich Android Automotive natürlich auch an der Oberfläche sehr stark von Android Auto unterscheiden. Zumindest im Volvo Polestar ist außerdem zu sehen, dass das Infotainment-System im Portrait- statt im Landscape-Modus ausgerichtet ist.
Genau aufgrund dieser soften Übernahme der Kontrolle einiger Fahrzeugfunktionen sehen sich manche Autohersteller in ihrem Bereich unterwandert. Natürlich interessiert es sie nicht, ob die Google-Plattform oder ihr System die Klimaanlage einschaltet, aber es ist der erste Schritt eines externen Anbieters tief in das eigene Produkt. Und wenn Google erstmal eine gewisse Marktmacht erreicht hat, werden auch schnell Forderungen aufgestellt und Vorgaben gemacht – also gilt es, das aus Sicht der Autohersteller zu verhindern. Erschwerend kommt dazu, dass die Google-Schwester Waymo bei autonomen Fahrzeugen Technologieführer ist – siehe den zweiten Absatz des Artikels.
Dennoch wird sich Android Automotive wohl über kurz oder lang in den ersten Fahrzeugen verbreiten und dürfte nicht an den hohen Hürden scheitern, mit denen Android TV oder Wear OS (Android Wear) zu kämpfen haben. Und da kommen wir dann zu einer gewissen Zusammenarbeit zwischen Android Auto und Android Automotive. Android Auto ist ein Türöffner für Automotive, denn die Nutzer werden über einen langen Zeitraum daran gewöhnt, viele Funktionen vom Smartphone im Auto verwenden zu können. Mit dem neuen Fokus auf den Google Assistant wird das noch verstärkt.
Weil (sehr wahrscheinlich) nicht alle Hersteller auf Android Automotive setzen werden, wird es auch weiterhin Android Auto geben müssen, sodass Googles große Produktpflege in der jüngsten Vergangenheit, auch mit dem Google Assistant Driving Mode auf dem Smartphone nachvollziehbar ist. Bisher haben neben Volvo auch General Motors und Renault Nissan Mitsubishi ihr Interesse an Android Automotive bekundet und konkrete Modelle angekündigt. Andere, so wie die Toyota-Tochter Lexus, sind gerade erst bei Android Auto eingestiegen.
Und VW will Google nicht im Auto haben. Ob das die richtige Entscheidung ist, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.