Google hat in der über 20-jährigen Geschichte des Unternehmens bereits Hunderte Produkte vorgestellt, von denen längst sehr viele auf dem ewigen Google-Friedhof liegen. In unserer losen Serie vergessene Google-Produkte widmen wir uns heute einem Bereich, in dem Google in der Vergangenheit bereits viel Verschleiß hatte: Den Social Networks. Mit Orkut hat Google ein starkes Pferd im Stall gehabt, das ein enormes Potenzial gehabt hätte. Aber das wurde Mal wieder verschenkt.
Langjährige Google-Nutzer haben schon sehr viele Produkte kommen und gehen gesehen und immer wieder muss man sich fragen, warum bei manchen Angeboten der Stecker gezogen wurde – vor allem rückblickend ist das nur selten nachvollziehbar. Zuletzt haben wir uns Googles erstem Messenger Google Talk gewidmet, der unzählige Nachfolger bekommen sollte. Im verwandten Bereich der Social Networks sieht das nicht viel besser aus – und auch hier hat Google zu einer Unzeit den Stecker gezogen.
Wer an Google und Social Networks denkt, hat sofort Google+ in Gedanken, denn das jüngste Social Network wurde erst vor wenigen Monaten eingestellt – was viele treue Nutzer dem Unternehmen noch immer übel nehmen. Schon weit vorher hatte Google ein anderes Social Network im Portfolio, das zwar einen merkwürdigen Namen trug, aber umfangreiche Möglichkeiten geboten hatte: Die Rede ist von Orkut.
Orkut wurde vom damaligen Google-Mitarbeiter Orkut Büyükkökten in seiner bezahlten Freizeit (20 Prozent-Zeit) geschaffen und anfänglich unabhängig von Google betrieben, was sich aber schon wenige Wochen nach dem Start ändern sollte. Das Netzwerk wurde zu einem echten Google-Produkt ausgebaut, Orkut wurde Produktmanager von Orkut und es gab ein kleines Team an Entwicklern, die sich fortan um das Netzwerk kümmerten und die Weiterentwicklung vorangetrieben haben.
Erwähnenswert: Orkut war kein Me-Too-Netzwerk, sondern ging wenige Wochen vor dem Start von Facebook online. Das Momentum war also auf Googles Seite – aber dazu später mehr.
Orkut kann man am einfachsten mit einem Blick auf das heutige Facebook vergleichen: Jeder Nutzer hatte ein Profil mit Namen, Profilbild und vielen weiteren freiwilligen Angaben. Jeder Nutzer konnte Beiträge verfassen, Bilder und Videos veröffentlichen und sich mit anderen Nutzern verbinden bzw. dessen Beiträge und Aktivitäten in einem Stream sehen. Außerdem konnten sich Nutzer untereinander Nachrichten schreiben und so in Kontakt bleiben.
Aber Orkut stärkte auch damals schon den Community-Ansatz und bot jedem Nutzer die Möglichkeit, eigene Communities bzw. Gruppen zu erstellen, in denen sich die Nutzer untereinander in Foren austauschen und diskutieren konnten. In der Spitzenzeit gab es zu nahezu jedem Thema eine eigene Gruppe, wenn auch häufig in Englisch und weniger in der deutschen Sprache. Das lag aber auch daran, dass Orkut in Deutschland nie so richtig populär wurde. Vor dem Facebook-Durchmarsch traf man sich hierzulande bekanntlich vor allem in den VZ-Netzwerken oder auch noch bei MySpace.
Und da kommen wir schon zu dem Problem, das Orkut hatte: Google hat Social Networks damals trotz des kometenhaften Aufstiegs von Facebook nicht als relevant eingestuft und dementsprechend auch Orkut weder beworben, noch in irgendeiner Form in das eigene Ökosystem integriert. Zwar gab es eine Anbindung an das Google-Konto, der GMail Chat bzw. Google Talk war integriert und es konnten YouTube-Videos eingebunden werden (was damals noch einigermaßen besonders war), aber eine umgekehrte Anbindung hat es niemals gegeben. Und so musste Orkut aus eigener Kraft wachsen.
Hätte es Facebook nicht gegeben, wäre Orkut vielleicht zu einem riesigen Netzwerk angewachsen, denn der damalige Nutzer-Exodus wurde nur durch das Zuckerberg-Netzwerk ausgelöst, das einfach mehr Funktionen bot, von seiner internationalen Ausrichtung profitierte und einfach das Momentum auf seiner Seite hatte. Leider hat Google das viel viel (viel) zu spät erkannt und mit halbgaren Lösungen wie Google Buzz reagiert und später Google+ gebracht – als ohnehin schon (fast) alles verloren war.
Im gesamten europäischen Raum spiele Orkut nie eine große Rolle, dafür war es aber vor allem in Brasilien DAS Social Network, was sich daran zeigte, dass sehr viele brasilianische bzw. portugiesische Nutzer auf der Plattform zu finden waren. Selbst in den letzten Jahren und nach dem Aufstieg von Facebook war Orkut in dem riesigen Land die Nummer #1. Aber Google hat nichts daraus gemacht. Doch statt das riesige Potenzial zu erkennen, wurde Orkut zugunsten der Nachfolger Buzz und Google+ immer mehr zurückgefahren und ignoriert.
Eingestellt wurde das Netzwerk erst 2014, aber tot war es schon mindestens drei Jahre vorher. Je mehr Facebook aufgestiegen ist, desto mehr hat Google das Orkut-Engagement zurückgefahren, damals saß man aber auch noch auf einem höheren Ross als heute, denn Google war DER einzige Internetgigant. Heute ist das anders – und daran ist man auch selbst schuld. Als WhatsApp aufstieg, hat man Google Talk eingestellt, als FB aufstieg hat man Orkut aus dem Weg geräumt.
Was aus dem Netzwerk mit etwas Engagement wohl geworden wäre? Möglicherweise wäre Facebook in der heutigen Form nicht möglich gewesen und Google hätte eine soziale Ader, die man bis heute einfach nicht treffen will. Seit wenigen Tagen versucht Google es übrigens schon wieder und hat mit Shoelace erneut ein Social Network gestartet. Ein blindes Huhn findet ja vielleicht irgendwann auch mal ein Korn…
Der Orkut-Gründer hat Google übrigens schon längst genervt verlassen und versucht es erneut auf eigene Faust.
Vergessene Google-Produkte