In den letzten Monaten ist es verdächtig ruhig um Googles Messenger-Zukunft geworden, denn von den großen Ankündigungen des Vorjahres ist noch immer nicht viel zu sehen. Gleichzeitig entwickeln sich die drei aktuell am Markt befindlichen Plattformen nur sehr langsam weiter und sehen wie üblich einer ungewissen Zukunft entgegen. Nach den zuletzt veröffentlichten Informationen und Neuerungen wird es nun mal wieder Zeit für eine aktuelle Bestandsaufnahme inklusive Zukunftsaussicht.
Wenn Google vor 10 Jahren einen neuen Messenger gestartet hat, waren die Tech-Welt und die Nutzer außer sich vor Freude. Als Google vor fünf Jahre einen neuen Messenger gestartet hat, sahen viele einen ebenbürtigen WhatsApp- und Facebook-Konkurrenten. Nachdem Google vor zwei Jahren einen neuen Messenger gestartet hat, war die Schadenfreude über die stets vorausgesagte baldige Einstellung größer als die Neugier. Und wenn Google heute einen Messenger vorstellt, dann interessiert es aus bekannten Gründen praktisch niemanden mehr. Dieses mühevoll aufgebaute negative Image gilt es zu durchbrechen.
Man mag es kaum glauben: Ein Konzern mit weit über 200.000 Mitarbeitern, der technologisch in dutzenden Märkten eine führende Rolle spielt und viele Geschäftsbereiche dominiert, bekommt es einfach nicht hin, eine funktionierende Messenger-Plattform zu schaffen. Offenbar ist das für Google eine unlösbare Aufgabe der Raketenwissenschaft. Es ist natürlich nicht so, dass es nicht schon genügend Anläufe und fast genauso viele Einstellungen gegeben hat. Dabei machen es die größten Konkurrenten doch sogar vor, wie man es richtig macht.
Google hatte sich zuletzt Anfang des Jahres umfangreich zu den Messenger-Plänen geäußert, es seitdem aber dabei belassen: Die Hauptaussagen waren, dass Google Allo und Google Hangouts eingestellt werden. Erster ist mittlerweile nicht mehr verfügbar, während Hangouts noch immer nutzbar ist und erst nach dem Übergang auf die beiden neuen Messenger Hangouts Chat und Hangouts Meet eingestellt wird. Gleicher Name, völlig anderes Produkt – da beginnen die Probleme schon wieder.
Hangouts Chat ist ein normaler Messenger zum Versenden von Nachrichen und Medien aller Art, Hangouts Meet ist ein Videomessenger mit einer starken Umsetzung der Videotelefonie. Beide stehen schon seit längerer Zeit innerhalb der G Suite zur Verfügung und sollen irgendwann auch für Privatnutzer geöffnet werden. Was an dieser Umstellung so lange dauert, kann man kaum erahnen.
Zwei gehen, zwei kommen, vier bleiben?
Google wird also zwei Messenger einstellen, wovon der eine bereits auf dem Friedhof liegt. Dass man nun zwei Text-Messenger durch einen Text- und einen Video-Messenger ersetzt, kann man als merkwürdig bezeichnen. Interessant wird es aber, wenn man einen Blick auf die anderen beiden Messenger-Produkte wirft, die sich nicht nur bester Gesundheit erfreuen, sondern direkte Konkurrenten der kommenden Produkte sind. Wie soll das aufgehen?
Zwischenzeitlich reißt man nun auch noch die YouTuber mit in das Messenger-Chaos hinein und nimmt ihnen schon bald die einzige Möglichkeit weg, Videokonferenzen Live auf der Plattform zu streamen: Hangouts on Air wird eingestellt. Natürlich, wie üblich, ohne einen adäquaten Ersatz zu haben. Der kommt dann vielleicht später mal, wenn sich die Nutzer längst andere Lösungen gesucht haben.
Android Messages
Der Messenger wurde nicht nur bereits mehrfach umbenannt und heißt aktuell nur „Messages“, sondern hat auch bereits einen aufregenden Ritt hinter sich: Gestartet ist die App als einfache SMS-Lösung, die kaum jemandem aufgefallen ist. Mittlerweile wurde die App zu einem vollwertigen Messenger ausgebaut, ist das Kernstück der großen RCS-Hoffnung und sollte eigentlich eine zentrale Rolle für die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Nutzern spielen. Aber wie passt das mit Hangouts Chat zusammen?
Zu allem Überfluss enthält der Messenger nun auch noch viele neue Features, die man eher in der stärkeren Marke Hangouts vermuten würde, statt in einer Universal Chat-App: Die Rede ist von Funktionen wie der Integration des Google Assistant oder den gerade erst eingeführten (wirklich) sehenswerten Kamera-Effekten. Das sieht alles toll aus, aber passt als neutraler Beobachter einfach nicht in die Strategie. Nächste Frage: Warum sind die Kamera-Effekte nicht bei Google Duo?
Google Duo
Google Duo ist der Veteran des Duos (Wortwitz) Allo und Duo. Der Videomessenger erfreut sich großer Popularität und tut seit langer Zeit genau das, was man erwartet – und kaum mehr. Das perfekte Messenger-Produkt. Doch nun wird die Plattform ausgebaut und kann jetzt auch Fotos versenden. Nett, aber was soll das an dieser Stelle? Das ist nicht nur überflüssig, sondern ist wieder einmal der erste Schritt dahin, es ein bisschen zu gut zu meinen und dann gegen die Wand zu fahren.
Warum ist nicht Google Duo der Nachfolger für Hangouts on Air? Eine bessere App ist kaum denkbar und so ein kleiner Aufnahmeknopf tut nicht weh. Und die wichtigste Frage: Welche Rolle wird Duo spielen, wenn der Videomessenger Hangouts Meet an den Start geht? Eine sinnvolle Abgrenzung ist kaum denkbar.
WTF denken sich die Strategen bei Google?
Selbst als Außenstehender bemerkt man sehr schnell, dass hier zwischen der aktuellen Entwicklung und dem verkündeten Ziel eine unüberbrückbare Differenz liegt. Ist die Strategie also schon wieder vergessen? Oder wissen die Entwickler der einzelnen Plattformen nichts voneinander und machen einfach ihren Dienst nach Vorschrift, bis irgendwann die Axt kommt? Manchmal sieht es tatsächlich so aus, denn anders ist die derzeitige Entwicklung nicht zu erklären.
Es zeugt aber auch einer von gewissen verlorenen Bodenhaftung der Strategen, den Nutzern ständig neue Produkte vorzusetzen. Dass die Nutzer nach dem zehnten Wechsel der Plattform, die natürlich nicht kompatibel sind, begeistert bleiben und nicht den Blick nach Links oder Rechts werfen, kann man nicht ernsthaft erwarten. Und wenn man dann die letzten Nutzer an Facebook & Co. verloren hat, muss man schon sehr gute Argumente liefern, um sie wieder zurückzuholen.
Die Wurzel allen Übels liegt tiefer
Vielleicht ist das Chaos aber nicht nur bei der Messenger-Abteilung vorhanden, sondern wird nur an dieser Stelle deutlich. Erst kürzlich hat selbst das Google-Marketing bewiesen, die Smart Home-Strategie nicht mehr zu verstehen. Ein Grund für die ständigen Änderungen und Anpassungen dürfte Googles internes Vergütungssystem sein: Je mehr Veränderungen durchgeführt werden, desto höher der Bonus auf die Gehaltszahlung. Viele Einblicke und Details dazu bekommt ihr in diesem Artikel.
Und nun warten wir gespannt auf den Release von Hangouts Meet und Chat. Wenn sie noch kommen.
Siehe auch
» Google Home, Nest Home, GoogleNest, Nest Home Max – Googles Social Media-Team blickt nicht mehr durch
» Messages: Google bringt sehenswerte neue Kamera-Effekte in den Android-Messenger (Video)
» Google Duo wird zum Messenger: Der Videomessenger kann jetzt auch Fotos versenden (Screenshots)