Der immer wahrscheinlichere Verlust der Android-Lizenz kommt Huawei sehr teuer zu stehen, aber hinter den Kulissen zeichnet sich ab, dass die Angelegenheit auch an Google nicht spurlos vorübergehen und noch große Folgen haben wird. Glaubt man Medienberichten, dann arbeitet nicht nur Huawei an einer Alternative, sondern auch alle anderen großen chinesischen Hersteller können sich mit einer Google-freien Zukunft anfreunden.
Die Situation ist für alle Beteiligten aktuell sehr unbefriedigend: Huawei plant mit 30 Milliarden Dollar weniger Umsatz, Google versucht sich daran, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, um weiter mit Huawei zusammenarbeiten zu können und auch die vielen Millionen Nutzer der chinesischen Marke sind verunsicherte. Erste Händler, die ebenfalls unter der Situation leiden, geben sogar schon eine Google-Garantie ab, um die Smartphones irgendwie an den Mann und die Frau zu bringen.
Bereits vor dem Blacklisting der US-Regierung hatte Huawei immer wieder damit kokettiert, ein eigenes Betriebssystem in der Tasche zu haben, das bei Bedarf als Ersatz für Android verwendet werden kann. Dass dieser Fall tatsächlich einmal eintreten wird, ohne dass es Probleme zwischen den beiden Unternehmen gibt, hätte aber wohl doch kaum jemand für möglich gehalten. Und so ist auch Huawei von der Schwere und nahezu sofortigen Wirkung des Banns überrascht gewesen.
Wenn alle Stricke reißen und es keine Notlösung gibt, wird Huawei Ende August sowohl den Zugriff auf Android als auch auf sehr viele Hardware-Partner verlieren. Dennoch verspricht man den Nutzern, mindestens 17 Smartphones mit Android Q zu versorgen – ob Bann oder nicht. Wie genau das funktionieren soll, denn selbst mit dem Zugriff auf AOSP ist das ein schweres Unterfangen, ist nicht bekannt. Huawei spricht aber auch davon, „zuversichtlich“ zu sein und gib keine Garantie ab. Funktioniert das nicht, müssten sich selbst die Besitzer neuer Smartphones entweder mit Custom Rom oder anderen Lösungen behelfen oder bis zum Ende der Lebenszeit des Geräts mit Android Pie begnügen. Sicherheitsupdates soll es zwar auch weiterhin garantiert geben, aber für Betriebssystem-Updates wurden weder von Google noch von Huawei garantiert.
Ein Konzern wie Huawei hat natürlich einen Notfallplan in der Tasche, der bereits aktiviert wurde und etwas Vorlaufzeit benötigt. Ersatz für den Play Store und Android steht gleich mehrfach zur Verfügung. Brisant ist aber, dass es nicht nur bei Huawei bleiben könnte.
Die ganze Angelegenheit ist vor allem politisch motiviert, denn selbst US-Präsident Donald Trump hat Huawei als gefährlich eingestuft, kann sich aber zugleich einen „Deal“ im Zuge eines neuen Handelsabkommens vorstellen. Aus Sicherheitsgründen überlegen große US-Unternehmen derzeit, erste Produktionen aus China abziehen – selbst Apple soll sich bereits nach Alternativen umsehen. Von Google ist bekannt, dass erste Teile der Hardware-Produktion aus China abgezogen wurden. Was ist nun, wenn sich auch chinesische Unternehmen umgekehrt von der Abhängigkeit lösen möchten?
China vs. Android
Die chinesischen Smartphone-Hersteller haben bereits 40 Prozent Marktanteil und eine entsprechend starke Verhandlungsposition. Wenn sie sich geschlossen gegen das Betriebssystem Android stellen, dann hat Google ein gigantisches Problem und muss um die mobile Dominanz fürchten. Das von Huawei entwickelte neue Betriebssystem HongMeng OS bzw. international Ark OS soll nicht nur beim aktuell zweitgrößten Smartphone-Hersteller der Welt zum Einsatz kommen, sondern auch Xiaomi, Oppo und Vivo testen das Betriebssystem bereits. Ein mehr als eindeutiges Signal.
Würden diese vier Hersteller Stand heute zum neuen Betriebssystem wechseln und das wiederum keinen Einfluss auf die Verkaufszahlen haben, dann sähen die Marktanteile plötzlich so aus:
- Android: 48 %
- Ark OS: 40 %
- iOS: 12 %
Wie bereits gesagt, ausgehend davon, dass die Kunden „es fressen“ und auch ohne Android und Play Store die Smartphones dieser Hersteller kaufen. Das wird vermutlich nicht der Fall sein, aber Marken wie Huawei, Xiaomi, Honor, OnePlus sind international etabliert und bekannt und kaum zu umgehen. Der Kunde wird also nicht nur einige wenige Smartphones ohne Google-Produkte angeboten bekommen, sondern gleich eine ganze Flut. Lediglich Samsung als einzige nicht-chinesische große Marke würde dann noch die Android-Fahne hochhalten.
„Android“ ist nicht stark genug
Die Beispiele Android TV und auch Wear OS (früher Android Wear) zeigen, dass die Marke „Android“ längst nicht so stark ist, wie man denken würde. Android auf dem Smartphone profitiert vor allem von der eigenen Größe und der Alternativlosigkeit. iPhone oder Android, mehr gibt es in der Wahrnehmung nicht. Rein rechnerisch gibt es auch keine Alternative, Android und iOS kommen auf 100 Prozent, aber natürlich gibt es kleine Plattformen wie z.B. Sailfish OS, das sich Huawei bereits angesehen haben und als Übergangslösung in Erwägung ziehen soll, bis Ark OS bereit ist.
Das Füllen des eigenen App Stores hat für Huawei mittlerweile auch eine hohe Priorität – nicht umsonst.
Wer braucht Google und Facebook?
Geht man nun von dem unwahrscheinlich Fall aus, das alle chinesischen Hersteller geschlossen eine Alternative präsentieren, würden die Karten auf dem mobilen Markt plötzlich nochmal ganz neu gemischt werden. Die chinesischen Hardware-Marken haben sich bereits global etabliert, warum also nicht auch die chinesischen Apps und Plattformen? Die Chinesen kommen auch ohne Google und Facebook aus und haben eigene Plattformen etabliert. Wenn es eine Chance auf einen schnellen internationalen Sprung gibt, dann jetzt.
Noch ist die Eskalation nicht ganz so weit, aber die Entwicklung in diese Richtung wurde nun angestoßen und wird sich wohl so schnell nicht mehr stoppen lassen. Huawei braucht JETZT eine Alternative und auch die anderen chinesischen Hersteller müssen stets damit rechnen, von der US-Regierung gebannt zu werden und somit vor die gleichen Probleme gestellt zu werden. Das dürfte den Verkaufszahlen schon jetzt nicht wirklich gut tun, auch wenn die Auswirkungen wohl noch sehr gering sind – außer bei Huawei.
Welche Auswirkungen ein Wechsel von Huawei zu Ark OS auf Android haben könnte, haben wir bereits ausgiebig besprochen, aber mit den weiteren großen Marken sieht die Sache noch einmal etwas anders aus und ist eine sehr große Gefahr für Google. Denn dann geht es nicht mehr nur um Android, sondern um die Vormachtstellung in vielen Bereichen von der Websuche über Karten bis hin zu Videoplattformen oder auch GMail und natürlich dem App Store. Schlafende Hunde sollte man nicht wecken, aber Trump hat sie getreten – wenn ich das mal so bildlich darstellen darf.
Googles Bedenken wegen der nationalen Sicherheit kommen nicht von irgendwo her, denn auch in Mountain View dürfte man sich die gleichen Gedanken gemacht haben, wie ich in diesem Beitrag.
Siehe auch
» Huawei kaufen oder nicht? Die ersten Händler geben eine Google-Garantie & nehmen die Smartphones zurück