Vor einigen Tagen hat Google alle Details zur Spieleplattform Stadia vorgestellt und damit vielleicht auch ein bisschen enttäuscht, denn die Erwartungen waren riesig und die Preis-Fantasien der Nutzer kannten kaum Grenzen. Doch nun hat Google die Spieler auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und gezeigt, in welche Richtung sich die Branche bewegen wird. Und nun können wir noch einmal einen kleinen Blick in die Glaskugel werfen und zusammentragen, welche Aussichten für Stadia gegeben sind.
Mit Stadia bringt Google nicht nur eine weitere Spieleplattform auf den Markt, sondern geht in einigen Bereichen neue Wege, mit denen man – das wurde bei der ersten Vorstellung mehrmals betont – dem Spieler endlich mehr Freiheiten bieten möchte. Keine Abhängigkeit mehr von einer Konsole oder einem Gamer PC, kein ständiges Aufrüsten mehr und vor allem eine ständige Verfügbarkeit aller Spiele. Das ist eine Kampfansage an gleich mehrere Unternehmen, hat aber durchaus viel Potenzial.
Stadia ist nicht Netflix, das mussten die interessierten Spieler bei der zweiten Präsentation zur Kenntnis nehmen, denn tatsächlich wirkt Googles Preismodell für die Spieleplattform auf den ersten Blick sehr teuer. Schaut man sich die Preisgestaltung im Detail an, wird schon sehr viel deutlicher, dass es kaum anders geht. Mit 10 Euro im Monat lässt sich keine Spieleplattform betreiben, die dem Nutzer auch noch alle Spiele kostenlos zur Verfügung stellt. Dazu kommen die zusätzlichen Abos der Spielehersteller, die je nach Anforderungen des Zockers attraktiv sein können oder eben nicht – man muss sie ja nicht nutzen.
Auch die vermutlich schon sehr bald aus dem Boden schießenden Konkurrenz-Plattformen werden wohl darauf setzen müssen, dem Nutzer sowohl Spiele zu verkaufen als auch Geld für den Betrieb der Plattform abzunehmen. Dem stellt Google das kostenlose Base-Modell gegenüber, mit dem der Nutzer auch ohne monatliche Kosten alle bereits gekauften Spiele zocken kann und somit niemals den Zugang zur eigenen Spiele-Bibliothek verliert. Ein attraktives Modell, gerade wenn man vielleicht ohnehin nicht die beste Bandbreite hat (hier geht es zum Speedtest).
Aber wie stehen die Chancen von Stadia? Wird sich Google einen gewichtigen Anteil am Spielemarkt sichern können oder eine (vermutlich sehr teure) Bruchlandung erleben? Im Folgenden wollen wir kurz das Für und Wider abwägen, wie es die Faktenlage zulässt.
Was spricht FÜR einen Stadia-Erfolg?
Die Spielebranche ist sehr interessiert
Schaut man sich die Liste der ersten verfügbaren Spiele an, dann gleicht diese einem Who is Who der Branche. Zwar sind die großen Publisher zu Beginn nur mit wenigen Titeln vertreten, aber so fängt es erst einmal an. Wenn sich das Geschäftsmodell lohnt, werden sehr schnell weitere Spiele auch für Stadia erscheinen und die Plattform durch eine ähnlich große Auswahl wie für PC oder Konsole für die Spieler sehr attraktiv machen. Dazu kommen die Exklusivtitel für Stadia, von denen auch Google selbst einige entwickeln wird.
Google hat ein eigenes Game Studio gegründet, aber bisher noch nicht verraten, an welchen Titeln oder Kategorien man arbeitet. Auch das kann gerade zu Beginn ein entscheidender Faktor werden, der auch längst bei Streamindiensten selbstverständlich ist. Im Notfall, wenn man es so nennen mag, kann sich Google auch groß in die Spielebranche einkaufen, denn schon im vergangenen Jahr war immer wieder die Rede davon, dass man prinzipiell sehr viel Budget für Übernahmen hätte.
Google wirft alles in die Waagschale
Stadia hat nicht nur die eigenen Vorteile zu bieten, sondern wird auch bestens im Google-Universum vernetzt sein. Insbesondere die lückenlose Anbindung an YouTube könnte zum entscheidenden Faktor werden. Spiele können nicht nur auf Knopfdruck gestreamt werden, sondern die Zuschauer können auch mit wenigen Klicks direkt an die gleiche Stelle des Spiels springen und so daran teilnehmen. Aber auch der integrierte Google Assistant sowie das plattformübergreifende Spielen mit Android, im Chrome Browser und dem Chromecast sorgt dafür, dass jeder interessierte Nutzer einfach teilnehmen kann – ohne die Anschaffung zusätzlicher Gerätschaften. Einiges davon ist übrigens nur mit dem Stadia Controller möglich.
Eine attraktive Plattform für Gelegenheitsspieler
Nicht alle Nutzer haben zu Hause kistenweise Spiele für ihre Konsole, sondern viele wollen vielleicht nur einige wenige Titel spielen und sich dafür keine teure Konsole oder keinen Gamer-PC kaufen. Diese Nutzer können sich nun einfach die Kapazitäten bei Google beschaffen, das sogar kostenlos, und danach wieder aus der Spielewelt aussteigen. Gerade für diese Nutzer ist es ein sehr großer Vorteil, dass Stadia nicht auf das Netflix-Modell setzt, denn mit kostenloser Spieleflat wäre das monatliche Abo deutlich höher.
Und zu guter Letzt darf man nicht vergessen, dass man mit der limitiert erhältlichen Stadia Founders Edition die Stimmung anheizt und so wahrscheinlich die Power-Gamer für die ersten drei Monate auf die eigene Plattform zieht.
Was spricht GEGEN einen Stadia-Erfolg?
Gewohnheitstier Mensch
Stadia sorgt vor allem für Skepsis, weil viele Spieler die Befürchtung haben, dass die Spiele ruckeln oder eine zu große Latenz aufweisen könnten. Google hat zwar mehrmals klargestellt, dass das nicht der Fall ist, aber die Skepsis wird sich wohl erst dann legen, wenn die Spieler das neue System einmal ausprobieren konnten. Gerade zu Beginn ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wer schon jetzt eine Ahnung haben möchte, wie es mit der eigenen Bandbreite aussieht, kann dies mit dem Stadia Speedtest feststellen.
Die mächtige etablierte Konkurrenz
Der Spielemarkt ist seit langem ein Haifischbecken und immer mehr Plattformen wollen sich große Titel exklusiv sichern. Microsoft, Sony, Epic und Steam-Betreiber Valve könnten Stadia also versuchen, Stadia durch Exklusiv-Verträge einfach austrocknen. Fraglich ist natürlich, wer dann am längeren Hebel sitzt, die etablierten Plattformen oder der Neueinsteiger. Da auch die großen Plattformen am vollständigen Spiele-Streaming arbeiten und selbst Microsoft und Sony in dem Bereich kooperieren, könnte das eine sehr interessante Situation werden. Schlussendlich entscheiden vor allem die großen Publisher über den Erfolg oder eben Misserfolg von Stadia.
Es ist von Google
Google hat sich in den letzten Jahren hart den Ruf erarbeitet, immer wieder Dienste ohne Rücksicht auf Verluste einzustellen – treue Blogleser wissen genau, was damit gemeint ist. Erst vor zwei Tagen wieder Hangouts on Air. Werden die Nutzer also bereit sein, sich für Hunderte von Euro Spiele auf dieser Plattform zu kaufen, die vielleicht in drei Jahren schon wieder vor dem Aus steht? Das könnte tatsächlich der größte Stolperstein werden, den Google aus dem Weg räumen muss. Selbst in einem der ersten Interviews mit dem Stadia-Chef ging es um eine mögliche Einstellung der Plattform. Immerhin kann man sich damit behelfen, sowohl Stadia als auch die Spiele im Abo zu benutzen und somit von einer möglichen Einstellungen kaum betroffen zu sein.
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