Ob Google es nun bestätigen mag oder nicht – das Unternehmen arbeitet schon seit längerer Zeit an einem neuen Betriebssystem, über das seit langer Zeit sehr viele Informationen bekannt sind und das nun sogar eine eigene Webpräsenz hat: Fuchsia. Man kann sich natürlich fragen, wofür ein neues Betriebssystem neben den beiden Erfolgsprodukten Android und Chrome OS überhaupt benötigt wird. Wenn man sich die aktuelle und kommende Hardware-Landschaft ansieht, wird schnell deutlich, dass durchaus noch eine große Lücke klafft.
In jüngster Vergangenheit pflegt Google einen sehr offenen Umgang mit noch in Entwicklung befindlichen und Monate von der Veröffentlichung entfernten Produkten – das hat sich zuletzt bei Stadia und auch bei den Pixel 4-Smartphones gezeigt. Und dann gibt es da noch die Projekte, die über einen sehr langen Zeitraum über ständige Leaks und halboffizielle Informationsquellen in den Medien bleiben, aber über die einfach nicht gesprochen wird. Dazu gehört (leider) auch Fuchsia. Zwar wurde nun eine offizielle Webseite gestartet, aber das heißt noch lange nicht, dass das Projekt nun nicht mehr unter PR-Verschluss ist.
Im Rahmen der Google I/O hat Android-Chef, angesprochen auf einen Zeitplan für Fuchsia, ordentlich auf die Euphorie-Bremse getreten und dem Betriebssystem für die nähere Zukunft eine Absage erteilt. Das ist wenig überraschend, denn was soll der Manager des internen Konkurrenz-Produkts über ein offiziell geheimgehaltenes Projekt auch sonst sagen? Immer wieder stellt sich bei den seltenen Einblicken heraus, dass die einzelnen Google-Abteilungen oft nicht wissen, woran die Kollegen arbeiten. Das gilt auch für den Android-Chef.
Trotz der offiziellen Absage, die eigentlich gar keine war, darf also weiterhin darüber philosophiert werden, in welche Richtung Fuchsia entwickelt und für welchen Markt es konzipiert wird. Schon seit Beginn an ist bekannt, dass Fuchsia in Richtung Internet of Things und Smart Home gehen wird – und das hat sich bis heute bestätigt. Auf den Google Smart Displays kam Fuchsia bei internen Tests bereits zum Einsatz und das Betriebssystem enthielt gerade erst wieder Hinweise auf ein neues Smart Display.
Offenbar durchläuft also jede neue, halbwegs kompatible, Google-Hardware die Fuchsia-Abteilung und wird mit diesem System getestet – so lange, bis einen Volltreffer gibt. Und so kam es, dass Fuchsia auch schon auf einem Pixel 3, einem Chromebook Pixel und den bereits angesprochenen Smart Displays zu finden war – intern und inoffiziell versteht sich.
Android und Chrome OS sind nicht alles
Schaut man sich die von Android und Chrome OS besetzten Märkte an, wird schnell klar, dass sie vor allem auf den „alten“ Märkten Mobil und Desktop unterwegs sind. Anpassungen gab und gibt es immer wieder, aber irgendwo ist dem Strecken der Plattform auch ein Ende gesetzt und es muss etwas Neues her. Tablets sind bereits der erste Bereich, in dem das rückblickend sehr deutlich wird. Android war nie wirklich für Tablets optimiert und Chrome OS ist als Desktop-Betriebssystem mit den klassischen Eingabemethoden ohne Touch ebenfalls nicht dafür optimiert.
Tablets sind noch sehr mit den beiden angestammten Plattformen von Android und Chrome OS verwandt, aber bei Smart Displays und anderen neuen Geräteklassen sieht das schon ganz anders aus. Hier kommt weder Touch (zumindest nicht primär) noch Maus und Tastatur zum Einsatz, sondern die Sprache. Noch sind die Oberflächen dieser Displays sehr simpel gestaltet, aber mit den nächsten Generationen ist ein sehr großer Sprung zu erwarten, der dann irgendwann auch von einem passenden Betriebssystem vorangetrieben werden muss.
Fuchsia ist nur der Kern
Google muss das Rad dafür nicht neu erfinden, auch wenn man das mit den vielen veränderten Fuchsia-Konzepten bereits getan hat, sondern nur neue Möglichkeiten zur Anpassung und Optimierung finden. Mit dem sehr modularen Aufbau von Fuchsia sind selbst so wichtige Dinge wie die gesamte Oberfläche beliebig austauschbar. Alle wichtigen Aufgaben bis hin zu den vielen Assistenten schweben eine Stufe tiefer und können mit jeweils eigenen Oberflächen angepasst werden.
Die starke Cloud-Anbindung sorgt dafür, dass Fuchsia als das erste echte Cloud-Betriebssystems bezeichnet werden könnte. Vielleicht ist über zehn Ecken auch der Start der Spieleplattform Stadia ein Testlauf dafür, komplexe und bisher Online undenkbare Systeme in die Cloud zu verfrachten. Warum nicht auch das gesamte Betriebssystem, sodass Fuchsia praktisch auch auf einem Taschenrechner ausgeführt werden könnte – wenn denn das passende Display vorhanden wäre.
Googles Cloud-Chef hat erst kürzlich über neue Cloud-first Hardware gesprochen, die bereits in diese Richtung gehen könnte. Denn was soll damit sonst gemeint gewesen sein? Auch die Spekulationen über eine mögliche neue Google-Hardware bestehend aus einem faltbaren Tablet-Laptop Hybrid könnten ein dazu passendes Betriebssystem sehr gut gebrauchen, dessen Anforderungen weder von Android noch Chrome OS vollständig erfüllt werden könnten.
Was Google also braucht, ist ein vollständig flexibles Betriebssystem für die Zukunft. Auch wenn aktuell noch nicht so viele Einsatzmöglichkeiten gegeben sind, ist es natürlich sehr wichtig, zuerst auf dem Markt zu sein. Als Android aus Angst vor Microsoft geschaffen wurde, war der Smartphone-Boom noch nicht abzusehen. Als Chrome OS vorgestellt wurde, wurden Googles Entwickler für verrückt erklärt. Auch Fuchsia könnte bald an dieser Schwelle stehen und einen Markt erschaffen, der aktuell einfach noch nicht existiert bzw. sich hardwaretechnisch noch in der Konzeptphase befindet.
Android und Chrome OS müssen dabei natürlich nicht verschwinden, denn so wie die beiden Plattformen seit vielen Jahren friedlich nebeneinander existieren und sich kaum in die Quere kommen, wird daraus eben ein Dreiergespann werden. Dabei ist es natürlich möglich, dass Fuchsia aus Synergie-Gründen irgendwann den Android-Kernel oder den Chrome OS-Kernel ersetzt – aber das müssen weder Nutzer noch Entwickler schlussendlich im Alltag bemerken.
Während Apple nun also ein iPad OS einführen und die drei Welten Smartphone-Tablet-Laptop weiter voneinander entfernen wird, könnten sowohl Google mit Fuchsia als auch Microsoft einen anderen Weg gehen. Microsoft wird derzeit nachgesagt, schon bald einen faltbaren Laptop mit Android-Kompatibilität auf den Markt zu bringen. Welche Strategie schlussendlich die richtige ist, wird sich im Laufe der kommenden Jahre zeigen. Dass sich Google (vermutlich) schon auf neue Plattformen konzentriert, kann vielleicht für die Zukunft schon wieder ein wichtiger Schlüssel sein.
Siehe auch
» Fuchsia: Die erste Webseite zu Googles neuem Betriebssystem mit vielen Entwickler-Infos ist Online
» Google lässt Tablets fallen: Arbeitet nun auch Google an neuen faltbaren Chromebooks?
» Google stoppt alle Tablet-Projekte: Hardware-Chef Rick Osterloh konkretisiert das Tablet-Aus