Die neue Woche begann in der IT-Welt mit einem großen Knall, den in der Dimension wohl niemand hat kommen sehen: Google musste Huawei die Android-Lizenz entziehen und verliert damit den weltweit zweitgrößten Smartphone-Hersteller für das eigene Ökosystem. Das kann für beide Unternehmen noch ernste Folgen haben, aber auch mehr als einhundert Millionen Huawei-Nutzer stehen nun erstmal im Regen und wissen nicht, in welchem Umfang sie ihr Smartphone zukünftig nutzen können. In diesem Artikel klären wir die wichtigsten Fragen.
Nicht nur in Österreich, sondern auch in der Smartphone-Welt haben sich die Informationen und Ereignisse gestern überschlagen, sodass man sehr leicht den Überblick verlieren konnte – vor allem, weil es teilweise widersprüchliche Aussagen von allen Beteiligten gab. Zwar gibt es noch immer keine hochoffizielle Pressemitteilung von Google oder Huawei, aber dennoch gibt es genügend handfeste Informationen und Presse-Statements, um Antworten auf die wichtigsten Fragen zu geben.
HongMeng OS: Erste Informationen zu Huaweis neuem Betriebssystem & Android-Konkurrenten (Bericht)
Warum hat Google Huawei die Android-Lizenz entzogen?
Huawei wurde vor wenigen Tagen von der US-Regierung auf die Handels-Blacklist gesetzt, womit Geschäftsbeziehungen zwischen Huawei und US-Unternehmen untersagt sind und Ausnahmegenehmigungen benötigen. Ob sich Google oder Huawei um eine solche Genehmigung bemüht haben, ist nicht bekannt. Beide Unternehmen dürften aber ein großes Interesse daran gehabt haben, die Geschäftsbeziehungen fortzusetzen – über mögliche Streitigkeiten zwischen beiden Parteien ist nichts bekannt.
» Mehr Informationen zum Blacklisting von Huawei
Welche Geräte sind betroffen?
Betroffen sind alle Huawei-Geräte mit einem Google-Betriebssystem. Das schließt neben Smartphones auch Tablets oder Smartwatches mit Wear OS ein. Natürlich sind auch alle Smartphones der Marke Honor betroffen. Die noch im Handel und Lager befindlichen bereits produzierten Geräte werden genauso behandelt wie bereits im Umlauf befindliche. „Zukünftige Smartphones“ bezieht sich jeweils auf die Geräte, die noch nicht von Google zertifiziert worden sind.
» Offizielles Statement von Huawei
Können Huawei-Nutzer weiterhin Google-Dienste nutzen?
Ja, Google hat bereits bestätigt, dass sich für bestehende Huawei-Nutzer nichts ändern wird. Sie werden weiterhin GMail, YouTube, Google Maps und alle anderen Apps nutzen können und haben auch weiterhin Zugriff auf den Play Store. Grundsätzlich gilt: Alle Aktionen zwischen Google und dem Nutzer sind nicht betroffen, sobald aber das Unternehmen Huawei in irgendeiner Form ins Spiel kommt, kann es Probleme geben. Für bestehende Nutzer von Huawei-Smartphones ändert sich also erst einmal nichts.
» Offizielles Statement von Google
Bekommen Huawei-Smartphones weiterhin Android-Updates?
Nein, die Huawei-Smartphones bekommen keine Android-Updates mehr. Google beliefert den Hersteller nicht mehr mit aktuellen Android-Versionen, was natürlich auch für das kommende Android Q gilt. Die von Huawei bereits angekündigten Android Q-Updates wird es Stand Heute nicht geben. Das kann sich aber natürlich auch wieder ändern (siehe weiter unten). Ob die frisch angekündigte Frist von 90 Tagen etwas daran ändern wird, ist fraglich. Sie besagt, dass Huawei Updates liefern darf, aber nicht, dass es welche beziehen darf.
» Offizielles Statement des Android-Teams
Bekommen Huawei-Smartphones weiterhin Sicherheitsupdates?
Jein. Es gibt widersprüchliche Informationen, wobei sich Huawei-Nutzer aber wohl auf das offizielle Statement von Huawei berufen können. Während Google angekündigt hat, Huawei nicht mehr mit Sicherheitsupdates zu beliefern, hat Huawei verkündet, diese weiterhin ausliefern zu wollen. Durch die Android-Architektur ist das möglich, da die Updates auch über AOSP zur Verfügung stehen. Allerdings kann sich die Auslieferung verzögern oder eventuell nicht im vollen Umfang angeboten werden. Das werden die nächsten Monate zeigen.
» Offizielles Statement von Huawei
Gibt es ein Zurück vom Entzug der Android-Lizenz?
Theoretisch jederzeit. Die US-Regierung könnte ihr Blacklisting zurücknehmen oder eine eventuell von Huawei oder Google beantragte Ausnahme zulassen. In beiden Fällen wären die Grundlagen für eine Zusammenarbeit wieder geschaffen – fraglich ist aber, wann diese Fälle eintreten. Passiert es nächste Woche, kann man die Geschichte schnell hinter sich lassen. Passiert es erst nächstes Jahr, hat sich Huawei vermutlich bereits neu orientiert und könnte an eigenen Lösungen festhalten wollen. Da Donald Trump, der schlussendlich hinter dem Ganzen steckt, die Folgen seines Handelns mal wieder nicht bedacht haben dürfte, könnte es auch schnell gehen – siehe letzten Punkt.
» Die Folgen für Android-Nutzer
Wird Huawei jetzt den Android-Konkurrenten bringen?
Es ist nach wie vor fraglich, ob es diesen Android-Konkurrenten, von dem Huawei mehrfach gesprochen hat, überhaupt gibt. Beobachter gehen eher davon aus, dass es sich um das reine Android ohne Google-Dienste handelt, das ohnehin in China verwendet wird. Sollte es so sein, lautet die Antwort natürlich JA. Eine echte Neuentwicklung ist hingegen kaum vorstellbar und könnte wohl so schnell auch nicht mit Android bzw. global gesehen iOS mithalten. Das JA gilt natürlich auch nur dann, wenn die nächste Frage positiv beantwortet werden kann.
» Mehr Informationen zu Huaweis Android-Konkurrenten
Wird Huawei weiterhin Smartphones produzieren?
Das ist vollkommen offen. An Googles Lizenz-Entzug würde es nicht scheitern, doch auch viele andere Unternehmen haben die Zusammenarbeit mit Huawei gekündigt. Viele große Chip-Hersteller, nicht nur US-Unternehmen, haben bereits ein Ende der Geschäftsbeziehungen angekündigt. Zwar hat China bzw. ganz Asien mittlerweile sehr viel Technologie In-House, doch ein solch umfassender Wechsel nahezu aller wichtigen Komponenten braucht sehr viel Zeit und könnte bei einem Schnellschuss zu Qualitätseinbußen führen. Langfristig könnte Huawei Smartphones produzieren, doch in den kommenden 1-2 Jahren ist das kaum noch denkbar – wenn sich nichts ändert.
Huawei ist zwar ein riesiger globaler und breit aufgestellter Konzern, aber dennoch wird es für das Unternehmen auch um das wirtschaftliche Überleben gehen. Auch in der Telekommunikationstechnik, Huaweis Gelddruckmaschine, kommen Komponenten von US-Herstellern zum Einsatz, die erst einmal ersetzt werden wollen. Sollte sich das über einen längeren Zeitraum hinziehen, dürfte das Unternehmen Probleme haben, seinen (laut Wikipedia) 180.000 Mitarbeitern (!) das Gehalt zu überweisen…
Welche Folgen kann der Fall für Google und Android haben?
Android verliert auf dem Papier auf einen Schlag 17 Prozent Marktanteil – aber so einfach ist es nicht. Ein Großteil der Huawei-Smartphones (die in China verkauften) werden ohnehin ohne Google-Dienste ausgeliefert und sind faktisch nicht betroffen. Im Rest der Welt wird Huawei vermutlich massiv Marktanteil verlieren, die von der Konkurrenz gefüllt werden. Google ist es natürlich grundsätzlich egal, welche Marke die Nutzer wählen – so lange die Google-Apps vorinstalliert sind. Es könnte aber auch die gravierenden Folgen haben, dass andere Hersteller die Gunst der Stunde nutzen und ebenfalls Google-freie Geräte auf den westlichen Markt bringen könnten. Mehr zu diesem Szenario in folgendem Artikel.
» Die Folgen für Android und Google
Welche Folgen kann der Fall für den Smartphone-Markt haben?
Jetzt begeben wir uns noch kurz in die Glaskugel-Abteilung. Der aktuelle Fall ist das erste den Endkunden betreffende Kapitel im brodelnden Handelskrieg zwischen USA und China (auch wenn natürlich bei Huawei die Spionage-Vorwürfe dazukommen). In China wird bereits seit längerer Zeit ein Apple-Boykott gefordert, den die Chinesen zu einer weiteren Eskalation durchführen könnten. Da Apple seit einigen Jahren vor allem China zehrt und dort hohe Umsätze einfährt, wäre das ein schwerer Schlag für das Unternehmen aus Cupertino. Die USA, bzw. Trump, könnten wiederum damit antworten, alle chinesischen Smartphone-Hersteller auf die Blacklist zu setzen.
Schaut man sich die Smartphone-Top 5 an, dann bliebe mit dem Verlust von Huawei, Xiaomi und Oppo nur noch Samsung übrig. Für Google wäre dieser Verlust kurzfristig eine riesige Katastrophe und auch Apple müsste den China-Verlust wohl durch höhere iPhone-Verkaufspreise kompensieren, die ohnehin schon eine Schmerzgrenze überschritten haben. Aber auch die Komponentenhersteller von Qualcomm bis Broadcom würden kurzfristig milliardenschwere Aufträge verlieren. Schlussendlich würde es wohl zum Verlust der US-Dominanz führen und eine neue China-Dominanz beginnen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass auch der globale 5G-Ausbau durch unzählige Patente stark an Huawei hängt.
Soweit sind wir zwar noch lange nicht, aber bis vor zwei Tagen hätte es auch niemand für möglich gehalten, dass Google tatsächlich Huawei die Android-Lizenz entziehen wird bzw. muss. Und da Herr Trump immer wieder Schlupflöcher zum freien Schalten und Walten abseits aller Ratschläge findet, kann ein solcher Handelskrieg auch sehr schnell eskalieren – natürlich weit über den Smartphone-Markt hinaus. Hoffen wir es nicht.
Siehe auch
» Android Auto & Google Maps: Wettbewershüter ermitteln wegen gesperrter Karten-App gegen Google
HongMeng OS: Erste Informationen zu Huaweis neuem Betriebssystem & Android-Konkurrenten (Bericht)
Willem Einthoven: Google-Doodle zum 159. Geburtstag des Nobelpreisträgers & Erfinders des ersten EKG