Durch die fehlende Präsenz auf der Google I/O sowie einem kurzen Interview eines Google-Managers hat das gerade in Entwicklung befindliche Betriebssystem Fuchsia einen heftigen Dämpfer bekommen. Doch eigentlich hat sich, bis auf die derzeitige öffentliche Wahrnehmung, nichts geändert. Dennoch wird es Zeit, die Möglichkeiten zu sortieren, die dem neuen Betriebssystem aktuell bleiben. Und bei genauerer Betrachtung kann Google ein drittes Betriebssystem tatsächlich sehr gut brauchen. Nämlich für das Smart Home und das Internet of Things.
Eigentlich war alles klar: Die Entwicklergemeinde versammelt sich einmal im Jahr zur Google I/O, strömt in Scharen nach Mountain View oder verfolgt zu Hause die Livestreams und Diskussionen, und das Unternehmen wird erstmals über das neue Betriebssystem Fuchsia sprechen. Nicht auf der großen Bühne, aber abseits und vorerst in kleinem Kreis. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn keine der 100 Ankündigungen der Google I/O hat sich mit Fuchsia beschäftigt. Also noch ein Jahr warten?
Google ist mit Android auf dem Smartphone extrem erfolgreich und auch Chrome OS kann den etablierten kommerziellen Betriebssystemen Windows und Mac OS langsam aber stetig Marktanteile abnehmen. Dennoch konnte die Idee eines neuen Betriebssystems, das eine der beiden Plattformen ablösen oder sogar beide ersetzen, viele Menschen begeistern. Obwohl Google selbst bis auf ganz ganz wenige Ausnahmen noch nie öffentlich über Fuchsia gesprochen hat, ist es praktisch allen IT-Interessierten mittlerweile ein Begriff.
Das starke Schwächeln von Android hat die Gerüchte rund um den potenziellen Nachfolger immer weiter beflügelt und natürlich ist es gut möglich, dass man auch Google-intern irgendwann mal darüber nachgedacht hat, wie ein Wechsel aussehen könnte. Doch nun hat sich der Wind wieder gedreht: Android feiert ein Comeback (obwohl es nie weg war) und Fuchsia wird kleingeredet und soll laut Aussagen des OS-Managers Hiroshi Lockheimer „gar nicht so faszinierend“ sein.
Aber Fuchsia muss Android oder Chrome OS gar nicht ersetzen, sondern könnte die beiden Plattformen einfach ergänzen und sich seine ganz eigene Nische suchen, die in der nächsten Zeit zu einem großen Markt werden kann – oder eben auch nicht. Bedarf ist auf jeden Fall vorhanden.
Immer wieder wurde aufgrund der steigenden Überschneidungen über eine Zusammenlegung von Android und Chrome OS spekuliert – doch dazu ist es nie gekommen und auch zukünftig dürfte das nicht in den Roadmaps vorgesehen sein. Das heißt, dass keines der beiden Plattformen der Gewinner oder Verlierer ist, sondern dass es einfach eine friedliche Koexistenz gibt. Und in Zukunft existieren eben drei Betriebssysteme, die ihr Terrain gut abstecken.
Fuchsia als Smart Home & IoT-Betriebssystem
Mittlerweile gibt es viele neue Geräteklassen, die sich weder dem Desktop noch der mobilen Welt zuordnen lassen und für die Google aktuell noch kein optimales Betriebssystem im petto hat. Damit meine ich z.B. den stark aufstrebenden Markt der Smart Displays, Smart Speaker, Plattformen wie Chromecast oder weitere Internet of Things-Geräte, die in naher Zukunft folgen werden. Und genau diese Richtung hat Lockheimer in seinem „Fantasie-Interview“ zu Fuchsia auch vorgegeben:
It’s not just phones and PCs. In the world of IoT, there are increasing number of devices that require operating systems and new runtimes and so on. I think there’s a lot of room for multiple operating systems with different strengths and specializations. Fuchsia is one of those things and so, stay tuned.
Dass er im gleichen Interview behauptet, dass Fuchsia nur ein Experiment ist, zeigt aber, dass noch nicht öffentlich darüber gesprochen werden soll – und dann verhaspelt man sich eben auch mal. Die modernen Smart Home-Geräte benötigen heute eine schicke Benutzeroberfläche und müssen immer mehr können – doch weder Android noch Chrome OS wären für diese Kategorie die richtige Wahl. Fuchsia, als von Grund auf neu entwickeltes Betriebssystem, hingegen kann in diese Richtung geschoben werden – und insbesondere der extrem modulare Aufbau sowie die vielen integrierten Assistenten können es zur perfekten Lösung machen.
Immer wieder wurde darüber spekuliert, dass die nächsten Google Smart Home-Geräte von Fuchsia angetrieben werden – und die Wahrscheinlichkeit dafür ist nun eher gestiegen statt gesunken. Aufgrund der völlig anderen Interaktion mit den Geräten und den aktuell noch nicht standardisierten Oberflächen, wird der Nutzer das gar nicht bemerken. App-Entwickler können ebenfalls überrascht werden, da Google mit dem stark in der Popularität steigenden Flutter längst eine Armada an Bord hat, die auch für Fuchsia entwickelt. Es ist also angerichtet.
Das Betriebssystem wird irrelevant
Dass Google auch mit Entwicklern nicht über Fuchsia spricht, könnte an dessen Architektur liegen. Das Betriebssystem selbst wird irrelevant, da vor allem Web Apps und PWAs eine Rolle spielen und auch der Google Assistant selbst zu einer Plattform ausgebaut wird. Es ist eher als autonomes Betriebssystem zu verstehen, mit dem selbst App-Entwickler nicht mehr interagieren, sondern sich auf die ganzen Schnittstellen im obersten Layer beschränken müssen. Aber das ist nur Spekulation.
Doch Fuchsia kann nicht nur für neue Geräteklassen konzipiert sein, sondern im Geheimen auch als Plan B für Android gesehen werden. Durch den Java-Unterbau, um den sich Google und Oracle seit fast einem Jahrzehnt streiten, gibt es immer noch eine kleine Unsicherheit in der Plattform, deren Bedrohung vom Wirtschaftsunternehmen Google natürlich ausgeräumt werden muss. In den vergangenen Jahren hat man große Fortschritte gemacht, aber wenn Android dann doch mal in Gefahr ist, steht Fuchsia rein theoretisch bereit.
Wie geht es weiter?
Da sich, wie bereits Eingangs erwähnt, nichts an dem Projekt selbst geändert hat, wird es auch in den kommenden Wochen und Monaten mit Sicherheit neue Informationen zu Fuchsia geben, über die wir euch hier im Blog natürlich auch weiterhin ausführlich informieren werden. Ich persönlich bleibe bei der Ansicht, dass Fuchsia ein ernsthaftes Projekt mit Zukunft ist. Ein recht deutliches Zeichen dafür war vor wenigen Tagen durch die neue Fuchsia-Domain zu sehen. Vielleicht wird es nicht unter dem Namen auf den Markt kommen, aber eines Tages wird Fuchsia Verwendung finden. Als Smart Home-Betriebssystem. Und irgendwas sagt mir, dass das gar nicht mehr so lange dauert.
Siehe auch
» Smart Home: So geht es mit den Marken Google Home und Nest weiter – Konten werden zusammengelegt
» Fuchsia.dev: Die Webseite zu Googles neuem Betriebssystem war kurzzeitig Online (Screenhots)