Die EU-Urheberrechtsreform rund um das Leistungsschutzrecht und Uploadfilter geistert schon seit Monaten wie ein Schreckgespenst durch das Web und war eigentlich erst vor wenigen Wochen so gut wie vom Tisch. Doch das war ein Irrglaube, denn am späten Mittwochabend wurde dann der Entwurf verabschiedet, der „nur noch“ von allen Beteiligten bestätigt werden muss. Sollte es dazu kommen, wird das vermutlich sehr große Folgen für YouTube haben – wie die Google-Tochter selbst schon vor einigen Wochen zu Bedenken gegeben hat.
Im Kern ist eine Urheberrechtsreform sicherlich angebracht und auch überfällig, aber der aktuelle Entwurf (und auch die vorherigen Entwürfe) laufen in die völlig falsche Richtung und sind nicht nur völlig überzogen, sondern in der Form auch praktisch nicht umsetzbar. Zwar wird häufig davon gesprochen, dass die Großen die Gewinner sein werden, aber trotz vermeintlich unendlicher Ressourcen werden auch Plattformen wie Youtube in der Form nicht weiter machen können.
Zwar ist im Entwurf keine Rede von einem Uploadfilter, aber diese sind durch die Auslegung unumgehbar. Alle Plattformen müssen sicherstellen, dass die hochgeladenen Inhalte gegen keinerlei Urheberrecht jeglicher Art verstoßen und diese Inhalte entweder sperren oder lizenzieren – ansonsten sind sie selbst dafür haftbar. Konkret bedeutet das also, dass alle Inhalte ausgiebig untersucht und geprüft werden müssen, völlig egal ob es sich dabei um Bilder, Videos oder auch Text handelt.
YouTube müsste also bei jedem einzelnen Video prüfen, ob es gegen ein Urheberrecht verstößt. Das tut man grundlegend schon seit Jahren und hat dafür sehr erfolgreich das Content ID-System geschaffen, mit dem solche Verstöße nicht nur erkannt, sondern auch behoben werden können. Gibt es Verstöße, gibt es diverse Möglichkeiten von der Sperre des Videos, Sperre der Audiospur bis hin zur Anzeige von Werbung, deren Einnahmen dann an den Urheber gehen. Damit können viele gut leben (im doppelten Sinne) und auch YouTube als Plattformbetreiber sorgt für Frieden.
Für das Content ID-System müssen die Rechteinhaber selbst aktiv werden und ihre Inhalte zu YouTube hochladen, damit diese automatisiert erkannt werden können. Doch nach der Reform ist hingegen YouTube in der Pflicht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Urheberrechtsverletzungen durch den Uploadfilter zu erkennen – von Musik über Bilder, Filmaufnahmen, Textzitate und allen weiteren nur erdenklichen Dingen. Und das ist praktisch unmöglich.
Aus diesem Grund geistert seit Monaten ‚Das Ende von YouTube‘ durch das Netz – und gewissermaßen ist das auch gar nicht so falsch. Die Reform wird jedenfalls das Ende von YouTube so wie wir es kennen sein – vermutlich aber nur in Europa. YouTube-CEO Susan Wojcicki höchstpersönlich hat schon im November 2018 klargestellt, dass ihr Unternehmen und auch alle anderen Webplattformen nicht die Ressourcen haben, die Videos zu prüfen.
Susan Wojcicki hat einen Brandbrief geschrieben, in dem sie die YouTuber dazu aufruft, gegen diese Reform zu protestieren und laut ihre Meinung zu sagen. Das ist aktuell mehr denn je notwendig und wird nun auch wieder auf der Plattform getan. Aktuell formieren sich erste große Protestbewegungen, die für ihren Unmut auch auf die Straße gehen wollen – und das ist der einzig richtige Weg. Natürlich stehen beim Unternehmen YouTube die finanziellen Interessen im Vordergrund – das liegt in der Natur der Sache – aber dennoch ist es nicht übertrieben zu sagen, dass es das Ende der großen Communitys ist.
Aktuell werden pro Minute etwa 400 Stunden Videomaterial zu YouTube hochgeladen, die unmöglich zu kontrollieren sind. Und selbst wenn man es kontrollieren könnte, würde ein Video dann wohl Wochen bis zur Freigabe brauchen – und auch dann ist noch immer nicht sichergestellt, dass es keine Verstöße gibt. Es schwebt also ständig ein Damokles-Schwert über der Plattform – und dieses Risiko kann man als Unternehmen mit dieser gigantischen Masse an Inhalten kaum eingehen.
Schlussendlich könnte es einfach dazu führen, dass YouTube in Europa einfach nicht mehr zugänglich ist oder in einen Nur-Sehen-Modus versetzt wird. Das betrifft nicht nur die Videos, sondern auch die Livestreams und natürlich die Nutzerkommentare – denn auch dort könnten geschützte Texte gepostet werden. Es kann also niemand mehr ernsthaft in Erwägung ziehen, im EU-Raum eine Plattform zu betreiben – ganz egal welcher Art.
Und damit ist dann nicht nur YouTube betroffen, sondern auch Instagram, Facebook und wie sie alle heißen. Prinzipiell sind natürlich ALLE Plattformen betroffen, aber die Anwälte stützen sich gewöhnlich zuerst auf die Großen, wo es auch wirklich Geld zu holen gibt. Das EU-Web läuft also Gefahr, zurück in die 90er Jahre zu rutschen, dem Web 1.0 mit der Einbahnstraße ohne Nutzerinteraktion. Dass das keine Schwarzmalerei ist, wird schon heute daran deutlich, dass viele internationalen Seiten EU-Bürger einfach aussperren, da sie die DSGVO nicht umsetzen können oder wollen.
Der Brandbrief von YouTube-CEO Susan Wojcicki
Artikel 13 in seiner jetzigen Fassung könnte Millionen von Menschen – von Creatorn wie euch bis hin zu alltäglichen Nutzern – daran hindern, Inhalte auf Plattformen wie YouTube hochzuladen. Und er könnte Nutzer in der EU daran hindern, Inhalte anzusehen, die bereits auf den Kanälen von Creatorn überall verfügbar sind. Dazu gehört YouTube’s unglaublicher Videokatalog im Bildungsbereich wie zum Beispiel Sprachunterricht, Physik-Tutorials oder andere How-To-Themen.
Diese Gesetzgebung stellt eine klare Bedrohung für euren Lebensunterhalt und eure Möglichkeit dar, euch weltweit Gehör zu verschaffen. Und falls Artikel 13 wie vorgeschlagen umgesetzt wird, sind hunderttausende Arbeitsplätze bedroht – von europäischen Creatorn, Unternehmen, Künstlern und jeden, den sie beschäftigen. Der Vorschlag könnte Plattformen wie YouTube dazu zwingen, nur eine kleine Anzahl von Inhalten großer Unternehmen zuzulassen. Es wäre für schlichtweg zu riskant, Inhalte von kleinen Videomachern zu präsentieren, da die Plattformen nun direkt für diese Inhalte verantwortlich wären. Wir wissen, wie wichtig es ist, dass alle Rechteinhaber angemessen entschädigt werden, weshalb wir Content ID und eine Plattform zur Auszahlung aller Arten von Inhalteinhabern entwickelt haben. Aber die unbeabsichtigten Folgen von Artikel 13 gefährden dieses Ökosystem. Wir setzen uns dafür ein, mit der Industrie zusammenzuarbeiten, um einen besseren Weg zu finden. Der Gesetzestext könnte bis Ende des Jahres fertiggestellt sein, daher ist es wichtig, sich jetzt zu Wort zu melden.
Bitte nehmt euch einen Moment Zeit, um euch über die möglichen Auswirkungen auf eure Kanäle zu informieren und dann umgehend zu handeln. Erzählt der Welt in den sozialen Netzwerken (#SaveYourInternet) und auf euren Kanälen, warum die Kreativwirtschaft wichtig ist und wie sich diese Gesetzgebung auf euch auswirken wird.
Den vollständigen Brief findet ihr in diesem Artikel.
Ist es also das Ende von YouTube & Co.? So genau lässt sich das aktuell noch nicht sagen, aber zumindest steht das EU-Web schwer auf der Kippe und der einfache Upload von Inhalten wird kaum noch möglich sein. Wenn nicht noch etwas dagegen getan wird.
Und die Abgeordneten nehmen die Proteste nicht ernst…
Artikel 13 & Uploadfilter: EU-Abgeordnete halten die Nutzerproteste für Fake-Kampagne von Google ?