In der vergangenen Woche hat Google die sehr unpopuläre Entscheidung verkündet, dass Google+ eingestellt wird. Das kam für viele Beobachter nicht unerwartet, aber dennoch irgendwie überraschend. Ein ehemaliger Google-Mitarbeiter hat nun interessante Einblicke in das Arbeitsklima dieser Abteilung in der Anfangsphase des Netzwerks gegeben. Diese Geschichten sind zwar längst verjährt, zeigen aber, woran Google+ wirklich gescheitert ist.
Google selbst hat das Netzwerk in der Ankündigung als Geisterstadt dargestellt (natürlich hat man den Begriff nicht in den Mund genommen). Dass dem nicht so ist, zeigt sich aber spätestens an der jetzt einsetzenden Wanderung der Communitys und der in den ersten Tagen mit sehr viel Zulauf bedachten Petition gegen die Einstellung. Schlussendlich wird es nichts nützen und so kann man sich nun auf die Suche nach den Gründen für das Scheitern begeben. Ein ehemaliger Google-Designer beginnt dabei ganz am Anfang.
Der Designer Morgan Knutson kam kurz nach dem Start von Google+ in das Team und berichtet nun in einer endlosen Aneinanderreihung von Tweets über seine Erfahrungen. Der negative Eindruck begann schon, bevor er überhaupt den ersten Tag gearbeitet hat. Denn ihm wurde gesagt, dass er im Chrome-Team arbeiten könne, wurde dann aber schlussendlich bei Google+ eingesetzt. Gut, kommt vor und haben sicher viele schon erlebt. Doch sein von Anfang nicht ganz gutes Gefühl bestätigte sich schnell.
Während das Google+ Team heute, falls es noch existiert, im Keller arbeiten muss (sinnbildlich), war die Abteilung früher in der Chefetage angesiedelt. Hunderte Google-Mitarbeiter arbeitet an dem Netzwerk, für das man damals noch große Perspektiven sah. Die Abteilung arbeitete direkt neben dem Büro von CEO Larry Page, in einem Bereich, zu dem viele andere Google-Mitarbeiter nicht einmal Zutritt hatten. Es gab also von Beginn an eine starke Trennung vom „ganzen Rest“, mit dem die damalige Priorität des Projekts gezeigt wurde.
Diese Abschottung hatte natürlich zu Folge, dass das Google+ Team intern weder gut integriert noch populär gewesen ist. Und so müssen sich viele Projektleiter vor einigen Jahren gefühlt haben, wie die Nutzer kurze Zeit später. Komplett überrumpelt von dem neuen Produkt, ohne das plötzlich nichts mehr funktionieren sollte.
Knutson war überrascht davon, wie extrem ineffizient die gesamte Abteilung gearbeitet hat. Er war natürlich bei weitem nicht der einzige Designer, aber keiner seiner Kollegen war wirklich ausgelastet. Sie beschäftigten sich wochenlang mit winzigen Details, nur um dann schlussendlich doch ihre Arbeit nicht umgesetzt zu sehen. Über ihnen standen stets Abteilungen, die Icons erstellen oder Designs prüfen und ohne deren Freigabe – die gerade bei Google+ wohl länger dauern konnte – nichts voranging. Und so waren viele Mitglieder des Teams mehr mit Warten als mit Arbeiten beschäftigt.
Google+ genoss zu dieser Zeit eine so hohe Priorität, das teils irrsinnige Bonuszahlungen ausgelobt wurden. Hat ein Team Google+ in das eigene Produkt integriert, erhöhte sich die Jahresprämie um das 1,5-fache bis hin zum 3-fachen. Damit erklärt sich dann auch, warum das Netzwerk plötzlich überall zu finden war und teils sogar aufgezwungen wurde – denn dafür gab es vermutlich noch einmal höhere Boni. Ob sinnvoll oder nicht, hauptsache Google+ war vertreten.
All das geschah natürlich mit Rückendeckung von Larry Page, der offenbar so sehr von Google+ überzeugt war, dass er alle benötigten Ressourcen problemlos freigegeben und abgenickt hat. Dass er es dann selbst kaum benutzt hat, ist dann zumindest kurios. Der Vater von Google+, wie er gerne bezeichnet wurde, war Vic Gundotra – der einen so guten Draht zu CEO Larry Page besaß, dass all das Beschriebene möglich war. Doch so populär er in dieser Zeit im Netzwerk auch war – so unpopulär war er wohl im Team.
Laut Knutson arbeitete er in unmittelbarer Nähe von Gundotra, der täglich mehrere Dutzend mal an seinem Schreibtisch vorbeilief, aber dennoch haben sie niemals auch nur ein Wort miteinander gewechselt bzw. sich gegrüßt. Außerdem soll Gundotra ein System der Angst aufgebaut haben, das noch dazu mit einer Planlosigkeit verbunden war. Keine gute Kombination, um ein solches Netzwerk zu erschaffen und Facebook herauszufordern. Dieses Ziel wurde zwar nie öffentlich kommuniziert, aber natürlich war Facebook der Antreiber hinter dem gesamten Projekt – das bestätigt auch Knutson.
Der Designer erzählt weiter von einem schlechten Arbeitsklima in der gesamten Abteilung, das ihn schon sehr früh darüber nachdenken ließ, das Unternehmen wieder zu verlassen. Die einzelnen Geschichten erspare ich euch jetzt, teilweise sind sie aber doch recht schockierend – auch wenn viele so etwas ähnliches vermutlich ebenfalls schon am Arbeitsplatz erlebt haben.
Schlussendlich erfahren wir noch, was aus Google+ wirklich hätte werden sollen. Natürlich ein Soziales Netzwerk, das war und ist es auch, aber es sollte auch ein Dashboard mit Anbindung an alle Google-Dienste werden. Das ultimative Ziel war es, dass viele Google-Produkte von GMail über Drive bis zum Kalender in die Google+ Oberfläche integriert werden und nur darin ablaufen. Google+ sollte also der Rahmen werden. Doch dazu ist es aufgrund der Planlosigkeit niemals gekommen.
Eine solche Anlaufstelle hat Google tatsächlich bis heute nicht geschaffen und wird wohl auch in Zukunft daran scheitern, denn alle Angebote unter einen Hut zu packen, ist eben so gut wie nicht möglich – und vielleicht auch gar nicht sinnvoll. Dass Google eines Tages einen weiteren Anlauf starten wird, dürfte aber dennoch jedem klar sein, der sich etwas mit der Geschichte des Unternehmens befasst hat 😉
» Der ausführliche Bericht des Designers
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