Woran ist Google+ gescheitert? Auf der Suche nach dem wahren Grund für die Einstellung des Netzwerks
Auch knapp drei Wochen nach der Verkündung der Einstellung von Google+ lässt das Thema die Google-Fans nicht los und sorgt für Diskussionen, Wut und einigen anderen Emotionen. Die große Frage nach dem Warum hat Google bereits selbst beantwortet, aber dass es überhaupt soweit kommen konnte, wurde vom Unternehmen gezielt gelenkt, bis man am heutigen Punkt angekommen ist. Und an dieser Stelle darf man sich die Frage stellen: Warum?
Google hat es schon häufig getan: Produkte eingestellt, die eigentlich gut funktioniert haben, viele begeisterte Nutzer versammeln und eigentlich nicht wegzudenken waren. Die Paradebeispiele dafür waren lange Zeit der Google Reader und auch die personalisierte Startseite iGoogle. Heute sind es eher Inbox und Google+, wobei es für erstes aber immerhin das „Backup“ GMail gibt, das die Nutzer vielleicht doch noch mit dem vollen Funktionsumfang begeistern kann. Bei Google+ gibt es ein solches Szenario nicht.
Bei der Verkündung der Einstellung von Google+ hat das Unternehmen im Wesentlichen zwei Gründe für diesen Schritt genannt: Als Erstes das Datenleck in den Profilen der Nutzer und als Zweites die geringe Nutzung der Plattform. Laut Aussagen des Blogposts waren 90 Prozent aller Besucher schon nach 5 Sekunden wieder verschwunden. Dass das nicht ganz der Wahrheit entsprechen kann bzw. Google die Zahlen absichtlich falsch interpretiert, liegt recht nah.
Was ist dran an der 5 Sekunden-Geschichte?
Man muss sich fragen, was diese Nutzer eigentlich vorhatten, die das Netzwerk für ganze fünf Sekunden aufrufen. In dieser Zeit können sie höchstens eine einzige Überschrift gelesen haben. Muss man nicht eher annehmen, dass es sich bei dem Großteil der Besucher um Bots handelt, für die Google+ in den letzten zwei Jahren ein wahres Paradies zur Verbreitung von Spam gewesen ist? Und wenn ja: A) Warum hat man dagegen nichts getan? B) Wieso werden diese Bot-Aufrufe mit in die offizielle Statistik aufgenommen?
Jeder aktive Nutzer weiß, dass Google+ eine große Community versammelt. Wenn diese große Community tatsächlich wohl nur 10 Prozent der Nutzer stellt – so wie es Google behauptet – ist das Netzwerk dann nicht eigentlich äußerst populär?
Was ist der wahre Grund für das langsame Sterben von Google+?
Die angebliche Sachlage erklärt nachvollziehbar, warum Google lieber heute statt morgen den Stecker ziehen möchte. Doch das Netzwerk wird vom Unternehmen schon seit Jahren nicht mehr vernünftig weiterentwickelt, gepflegt und erst recht nicht um neue Nutzer geworben. Doch eine Community, die keinen weiteren Zustrom hat, verfällt irgendwann in den Dornröschenschlaf – und aus diesem kommt man sehr schwer wieder heraus.
Es passte einfach nicht mehr
Der für mich offensichtlichste Grund ist, dass Google das Netzwerk einfach nicht mehr benötigt. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Community selbst (von der Google schlussendlich keinen Nutzen hat), sondern um das Konzept hinter dem Netzwerk. Nutzer können Personen, Seiten, Themensammlungen und mehr abonnieren und bekommen diese in ihrem Stream angezeigt. Aber das ist offenbar zuviel Kontrolle, denn die Entwickler möchten lieber selbst bestimmen bzw. eine Künstliche Intelligenz bestimmen lassen, was der Nutzer sehen und lesen soll.
Schaut man sich die aktuelle Nachrichten-Produktpalette von Google an, dann stellt man fest, dass der Nutzer möglichst wenig zu sagen haben soll: In Google News bekommt er seine fertige Zeitung vorgesetzt. Im Google Feed / Discover, der jetzt noch breiter ausgerollt wird, hat der Nutzer ebenfalls das zu lesen, was die Algorithmen ihm vorsetzen. Der Google Play Kiosk wurde ebenfalls gleich in die News integriert, um die vom Nutzer abonnierten Quellen möglichst gut verstecken zu können.
Google+ gibt dem Nutzer hingegen noch die Möglichkeit, die Quellen selbst zusammenzustellen, auch wenn es hier im Stream ebenfalls bereits intelligente Sortierungen und mehr gegeben hat. Fällt das weg, bleiben fast nur noch die automatisch aggregierten Informationen, die zwar an den Interessen des Nutzers angepasst sind, aber dennoch lieber eine KI als den Nutzer selbst entscheiden sollen. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich sehe das sowohl aus der Sicht eines Bloggers, der mit Content seinen Lebensunterhalt verdient, als auch als Nutzer sehr kritisch.
Google+ verdient kein Geld
Jedes Google-Produkt muss früher oder später direkt oder indirekt Geld verdienen. Bei Google+ war beides nicht der Fall – das reicht als Begründung eigentlich schon aus. Man hat zwar niemals probiert, Werbeanzeigen in den Stream zu bringen, aber da man nun auch Werbung im Feed / Discover testet, wäre es vielleicht eine gute Variante gewesen. Gegen interessante angepasste Werbeanzeigen zu anderen Storys hätten (in Maßen) sicher nur die wenigstens etwas gehabt, wenn Google+ dafür mit Priorität weiterentwickelt worden wäre.
Google+ ist Google 2.0
Vielleicht mit der wichtigste Grund: Google+ steht wie kein zweites Produkt für den damaligen Neustart Google 2.0, der vom Wieder-CEO Larry Page durchgeführt und von keinem geringeren als Steve Jobs höchstpersönlich inspiriert wurde. Zu dieser Zeit wurden unzählige Google-Produkte eingestellt, viele Experimente beendet und alles auf Google+ getrimmt. Wie das intern abgelaufen ist, haben wir letzte Woche mit einem sehr interessanten Einblick eines ehemaligen Team-Mitglieds gezeigt. Google ist damals Erwachsen geworden, hatte aber noch pubertäre Ideen – zu denen auch Google+ gehörte.
Google+ als Produkt war und ist sensationell und unersetzbar, doch die zwanghafte Verknüpfung war die schlechte Seite und hat schon sehr frühzeitig für einen nachhaltigen Schaden an der Marke „Google+“ geführt. Doch nachdem das beim Management angekommen ist, hatte man die Notbremse genauso schnell gezogen, wie man zuvor das Gaspedal gedrückt hat. Vollgas oder gar nicht. Man hat sich dann für Zweites entschieden und somit Google+ vollständig gegen die Wand gefahren.
Mit Sundar Pichai als CEO sind wir nun bei Google 3.0, das nun wirklich erwachsen geworden ist. Erst in dieser Woche wurde wieder deutlich, dass man sich heute gerne von der damaligen Zeit distanziert und nun alles besser machen möchte. Und wenn man dafür Google+ opfern muss, dann tut man es eben. Ein neues Netzwerk wird kommen, dessen bin ich mir ziemlich sicher – wie man es zum Erfolg führen möchte, wird spannend zu beobachten sein. Hauptsache es wird kein Neuanfang mit Snapchat.
Leider wird aus all diesen Gründen wohl auch die Petition gegen die Einstellung kaum etwas erreichen können…
» GoogleWatchBlog bei Google+
» GoogleWatchBlog bei MeWe
» GoogleWatchBlog bei Facebook
» GoogleWatchBlog bei Twitter
Mehr zu Google+
» Woran ist Google+ gescheitert? Ehemaliger Designer lässt kein gutes Haar am damaligen Management
» Einstellung von Google+: Wieder einmal wurde eine Plattform mit großem Potenzial an die Wand gefahren
» Einstellung von Google+: Der Schaden ist angerichtet – wohin ziehen die vielen Communities?
» Google+ lebt als Business-Angebot weiter: Erste Updates für die G Suite-Version angekündigt
GoogleWatchBlog bei Google News abonnieren | GoogleWatchBlog-Newsletter
Lasst G+ nicht sterben, damit treibt Ihr die User nur in andere Netzwerke, die man dank Euch bisher „großzügig“ meiden konnte.
Guter und interessanter Artikel danke!
Danke für den Artikel. Das mit den 5 Sekunden kann ich irgendwie nachvollziehen, denn oftmals war es so, sobald man einen Link von einem Beitrag anklickt, ist man schon auf einer externen Seite, und wieder „raus“ aus Google.
Wie schon im Artikel erwähnt, Google hatte die Weiterentwicklung „schleifen lassen“. Und aus meiner Sicht konnte man sich dort auch nicht wirklich wohlfühlen. Es war nicht schlecht, aber einige Funktionen habe ich vermisst.
Ich muss sagen, dass ich langsam das Vertrauen in Google verliere. Wer weiß ob Übermorgen nicht Docs eingestellt wird?
Wir können wohl nix tun?
Tja – da aus vielen Beiträgen und Kommentaren deutlich wird, dass die meisten eine Fortsetzung von google+ skeptisch sehen, wie soll es dann anders sein?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die Menschen ihre Bedürfnisse aufgeben. Genau das führt doch dazu, dass die Konzerne mit den Kunden/Usern machen können, was sie wollen. Und der „ach ich kann da sowieso-nichts-machen-Mensch“ kriegt genau das als Resonanz. ?