Lange Zeit haben Googles Betriebssystem Android und Chrome OS nebeneinander existiert und hatten ihr ganz eigenes Territorium abgesteckt, doch diese Situation hat sich im vergangenen Jahr geändert. Während das Desktop-Betriebssystem für einige Zeit auf der Abschussliste zu stehen schien, entwickelt es sich plötzlich zum Allrounder und bringt die gesamte Chrome-Plattform ein großes Stück nach vorne. Schon bald könnte ein sehr steiler Aufstieg bevorstehen.
In den Jahren des steilen Google-Aufstiegs hatte das Unternehmen immer wieder dementiert, an einem eigenen Betriebssystem zu arbeiten und argumentierte damit, dass dies nicht zum Kerngeschäft gehört und der Markt in festen Händen ist. Wenige Jahre später hat Google plötzlich zwei Betriebssysteme im Angebot, wobei Android einen wahnsinnigen Aufstieg hingelegt hat, während man die meisten Nutzer noch heute von Chrome OS überzeugen bzw. das Betriebssystem erst einmal vorstellen muss. Aber das könnte sich drehen.
Chrome OS ist natürlich kein browserbasiertes Betriebssystem, gibt sich aber gerne als solches aus und stellt den Browser in den Mittelpunkt des gesamten Geschehens. Damit wollte man vor allem die Stärken der Web-Apps demonstrieren, da der durchschnittliche Nutzer ohnehin nur noch den Browser nutzt und das Betriebssystem nur noch Mittel zum Zweck des Chrome, Edge, Firefox, Safari usw. ist. Also warum nicht das Betriebssystem als sichtbare Ebene weglassen und direkt den Browser anbieten? Das war und ist die Intention hinter Chrome OS.
Google dürfte nicht damit gerechnet haben, dass die Nutzer dennoch kaum umsteigewillig sind und Chrome OS bis heute in der Nische platziert ist – abgesehen vom US-Bildungsmarkt. Also hatte man vor zwei Jahren damit begonnen, die Android-Apps in das Betriebssystem zu bringen und somit die Zugkraft des anderen Betriebssystems für die eigenen Zwecke zu nutzen. In diesem Jahr wurde nun der nächste Schritt getan, denn da Chrome OS ohnehin auf einem Linux-Kernel basiert, bringt man nun auch die Linux-Apps in das Betriebssystem. Damit treffen sich im Privatbereich zwei Nischen.
In dieser Woche gab es nun sehr starke Hinweise darauf, dass es bei den Android- und Linux-Apps nicht bleiben wird. Möglicherweise kommen nämlich auch Windows-Apps zu Chrome OS – zumindest mittelfristig – und das wäre dann möglicherweise DER große Schritt, mit dem Chrome OS dann auch bei der Masse der Nutzer punkten kann.
Aktuelle Situation
Die Unterstützung der Android-Apps ist mittlerweile recht stabil, steht aber noch immer nicht auf jedem Betriebssystem zur Verfügung, die Linux-Apps sind noch stark experimentell und was Google mit der Windows 10-Zertifizierung für das Pixelbook vorhat, steht noch in den Sternen. Da man aber wohl kaum ein Pixelbook mit Windows 10 verkaufen möchte (es würde mich zumindest sehr überraschen!), bleibt nur die Möglichkeit, dass Windows 10-Apps auf diesem Wege erstmals unter Chrome OS getestet werden sollen.
Springen wir nun mal zwei Jahre weiter
Die Android-Apps sind stabil, Linux-Apps gehören zum Standard und auch Windows 10-Anwendungen lassen sich nun unter Chrome OS ausführen. Damit hat Google erstmals in der langen Geschichte der Betriebssysteme eine Plattform erschaffen, die Apps vieler völlig verschiedener Betriebssysteme nativ ausführen kann, ohne dafür einen Emulator zu benötigen oder Performance-Einbußen zu haben. Das schafft nicht nur Flexibilität, sondern ist auch ein starkes Argument für das Betriebssystem.
Der potenzielle Käufer steht nun also vor dem Computer-Regal und hat die Wahl zwischen einem Windows-Gerät, dessen Plattform er bereits seit vielen Jahren kennt oder einem Chrome OS-Gerät, das die gleichen Windows-Anwendungen mitbringt und noch dazu die Apps des Smartphones ausführen und als Ausflug in die experimentelle Welt (wir sprechen hier vom Durchschnittsnutzer) auch noch Linux-Anwendungen starten kann. Sobald ein Windows-Aufkleber auf dem Chromebook klebt, ist die Kaufentscheidung dann nicht mehr ganz so schwer.
Und nun kommt noch der Vorteil dazu, dass Chrome OS mittlerweile auch auf Tablets zum Einsatz kommt und das bisher dafür genutzte Betriebssystem Android ablösen wird. Damit hat Google extrem gute Chancen das zu schaffen, was selbst Microsoft im Massenmarkt bisher verwehrt blieb: Windows-Anwendungen auf das Tablet zu bringen, Linux-Anwendungen auf ein Tablet zu bringen und auch noch die eigentlich dafür konzipierten Android-Apps ebenfalls ausführen zu können. Und natürlich das starke Chrome-Paket mit der Synchronisierung über alle Plattformen und Betriebssysteme hinweg.
Wenn wir das alles mal zusammenfassen, hat Google ein enorm starkes Paket in der Hand, das interessanterweise auch schon wieder starke Überschneidungen mit dem kommenden Betriebssystem Fuchsia hat. Bisher wird Fuchsia vor allem mit Android verglichen, aber durch die breite Aufstellung von Chrome OS sind auch die Überschneidungen mit diesem Betriebssystem in Zukunft nicht mehr zu übersehen. Es wird interessant sein, wie diese drei streng voneinander getrennten Stränge eines Tages zusammenführen werden.
Um all die neuen Plattformen auch sinnvoll in das Betriebssystem zu integrieren, wird nun auch die schlanke Infrastruktur umgestellt. Gerade erst wurde ein neuer Dateimanager gezeigt, der Platz zur Verwaltung der virtuellen Betriebssysteme Android, Linux und vielleicht auch bald Windows schafft. Weitere Plattformen sind nicht ausgeschlossen, aber von Apple einmal abgesehen, hat man dann alle Großen mit an Bord.
Aber die Chrome-Plattform entwickelt sich nicht nur auf der Betriebssystem-Schiene weiter, denn auch bei den anderen beiden Browser-Plattformen auf dem Desktop und auf dem Smartphone stehen die Zeichen auf Veränderung: Auf dem Desktop gibt es ein schon bald ein neues Design, das sich schon jetzt ausprobieren lässt und der 10. Geburtstag im September wird wohl auch eine neue Backdrop-Funktion sowie ein Geburtstags-Spiel mit sich bringen.
Auch bei Android steht ein neues Design in der Startaufstellung, das sich schon jetzt nutzen lässt und die gesamte Navigation nach unten verfrachtet. Durch diese vielen Änderungen kommt derzeit ordentlich Bewegung in die Chrome-Plattform, bei der man den Eindruck gewinnen könnte, dass sie derzeit sogar lebendiger als Android ist.
Siehe auch
» Fuchsia: Machina-Virtualisierung integriert Linux-Apps nahtlos in Googles kommendes Betriebssystem
» Die nächste Revolution? Google arbeitet an Windows 10-Unterstützung für das hauseigene Chromebook