Zum Ende der Woche hat Google mit einer über die Medien verbreiteten Ankündigung überrascht, die gleichzeitig vorhersehbar als auch unerwartet kam: Die Entwicklung des Allo-Messengers wird eingestellt und stattdessen konzentriert sich das gesamte Team nun auf die Weiterentwicklung von Android Messages. Für Google ist es der gefühlt Hundertste Anlauf auf dem Messenger-Markt, der dieses mal dank veränderter Spielregeln aber funktionieren könnte.
Früher war alles besser. Als Konkurrenz zum damals sehr großen Messenger-Markt mit populären Angeboten wie dem MSN Messenger, AOL Messenger, Yahoo! Messenger oder auch noch ICQ hat Google im August 2005 den Messenger Google Talk vorgestellt und hat wieder einmal alles anders gemacht. Der Messenger war extrem schlank, nicht zu überladen wie die Konkurrenz und brachte auch noch XMPP-Unterstützung mit. Wäre man mal besser dabei geblieben.
Googles erster Messenger Talk erfreute sich damals großer Beliebtheit, aber schon vor über 12 Jahren schien es so, dass Google entweder kein Interesse an Messengern oder die falschen Leute an den entscheidenden Stellen zu sitzen hat. Talk wurde trotz des großen Erfolgs stiefmütterlich behandelt und kaum weiter entwickelt. Das zog sich über die Jahre hin, bis dann plötzlich mit den Smartphones, Facebook und später auch WhatsApp die schnelle Kommunikation zu einem riesigen Markt wurde. Doch statt an Talk festzuhalten, entschied sich Google für einen Neustart.
Der Nachfolger Hangouts hatte alle Talk-Zöpfe abgeschnitten und ging gefühlt aus dem Social Network Google+ hervor – was aber praktisch nicht korrekt ist. Tatsächlich erfreute sich auch Hangouts großer Beliebtheit, wurde aber trotz toller Features und einigen Dingen, der man der Konkurrenz voraus war, wieder sehr zögerlich weiter entwickelt und schien intern noch immer nicht auf Begeisterung zu stoßen. Also entschied man sich für eine weitere Kehrtwende, die viele dem Unternehmen bis heute Übel nehmen: Hangouts wurde neu ausgerichtet und den Platz als Personal Messenger sollte Allo einnehmen.
Der Messenger Allo wurde erst vor zwei Jahren angekündigt, stand aber von Anfang an unter keinem guten Stern. Während die Konkurrenz riesige Nutzerzahlen vorzuweisen hatten, hat Google einfach wieder den Restart-Knopf gedrückt und die Nutzer mit leeren Kontaktlisten begrüßt. Ein folgenschwerer Fehler. Also muss nun wohl auch Allo den Weg aller nicht erfolgreichen Google-Produkte gehen. Mehr zur „Pausierung“ von Google Allo findet ihr Hier.
Google steht bei den Messengern seit Jahren vor dem gleichen Problem, das man auch bei Social Networks hat: Trotz einiger guter Ideen und sicher auch mehr als fähigen Entwicklern kommt man einfach nicht von der Stelle und scheint im sozialen Bereich überhaupt kein glückliches Händchen zu haben. Glücklicherweise hat man aber gemerkt, dass man den eigenen Nutzern in den vergangenen Jahren bös mitgespielt hat und traut sich nicht, ihnen einen weiteren neuen Google-Messenger vor die Nase zu setzen.
Mit dem bevorstehenden Start von ‚Chat‘ ändert Google nun einfach die Spielregeln und schafft eine völlig neue Grundlage – ganz nach dem Motto: Wenn du den Markt nicht beherrschen kannst, verändere ihn. Google sorgt gemeinsam mit 55 Telekom-Partnern, knapp einem Dutzend Smartphone-Herstellern und mit Unterstützung von Microsoft und dem eigenen Android für eine Wiederbelebung der SMS bzw. der Nachfolge-Technologie RCS.
Google bastelt nun also (erstmal) keine neue App, sondern schafft gewissermaßen einen neuen Markt, der sehr gut in das eigene Konzept passt. Da die Telcos wohl nicht gut auf WhatsApp und Facebook zu sprechen sind, helfen sie liebend gerne mit und träumen insgeheim schon von einer neuen Cash-Cow. RCS- bzw. Chat-Nachrichten werden grundsätzlich einmal kostenlos sein, aber den Netzbetreibern wird schon etwas einfallen, wie sie den Kunden eventuell mit Zusatzdiensten etwas mehr Geld aus den Taschen ziehen können.
Für Google ergibt sich durch ‚Chat‘ die mehr als komfortable Situation, dass viele Dutzend Unternehmen Interesse an einem Erfolg haben und wohl auch einiges an Marketing hineinstecken. Google hingegen liefert als eines der wenigen Unternehmen mit Android Messages die dazu passende App und bekommt die willigen Nutzer so direkt in Strömen zugespielt. Natürlich ist RCS/Chat offen und auch jedes andere Unternehmen kann einen solchen Messenger entwickeln, aber Google hat einerseits den Wissensvorsprung und hat zusätzlich nun das gesamte Allo-Team abgezogen, um Messages schnell weiter zu entwickeln. Eine einmalige Gelegenheit.
Rein theoretisch könnten auch Facebook und WhatsApp sich für ‚Chat‘ öffnen und Googles Ambitionen allen Wind aus den Segeln nehmen, würden sich damit aber selbst in eine schwächere Position bringen – also werden sie das bleiben lassen. Weitere ernste Konkurrenz ist vermutlich erst einmal nicht zu erwarten, denn die eventuellen Versuche eigener Messenger der Telcos oder auch der Smartphone-Hersteller sind schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Der Messenger-Markt ist aktuell zwar nicht lukrativ, steht aber vor einer riesigen Zukunft. Messenger werden in Zukunft zu großen Plattformen werden, mit denen sich dann auch gutes Geld ganz ohne die Anzeige von Werbung verdienen lässt. Spätestens seit dieser Erkenntnis dürfte auch Google gemerkt haben, dass man ein solches Projekt nicht mehr als Nebenbaustelle betrachten darf, sonden sehr ernst nehmen muss.
Warum nun aber ausgerechnet die „SMS-App“ zur großen Hoffnung ausgebaut werden muss, scheint sich durch die oben beschriebene Vergangenheit zu vergeben: Die Marke Allo ist verbrannt, das Vertrauen in Hangouts verbrannt und die sechs anderen Messenger kommen nicht in Frage. Android Messages ist nun zum Erfolg verdammt. Bleibt die Frage, ob es auch einen Nicht-RCS-Nachfolger für Google Allo geben wird. Ich habe das Gefühl, dass das letzte Wort hier noch nicht gesprochen ist.
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