Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Unternehmen mehrere Lösungen für ein Problem anbietet und so feststellen möchte, welches Produkt beim Kunden bzw. Nutzer am besten ankommt. Natürlich kann man es aber auch übertreiben und einfach nur Blind durch die Gegend schießen und ein Produkt nach dem anderen auf den Markt bringen – und das immer wieder am Nutzer vorbei. Genau das passiert spätestens seit dem vergangenen Jahr bei Google – und es wird immer schlimmer…
Ich habe hier im Blog schon öfter Artikel über Googles Messenger-Chaos veröffentlicht, aber so langsam geht Googles Output in diesem Bereich auf keine Kuhhaut mehr und scheint immer undurchsichtiger zu werden. Ob dahinter tatsächlich ein Masterplan steckt (siehe Foto unten) oder einfach nur alle Teams vollkommen unabhängig aneinander vorbei entwickeln lässt sich als Außenstehender nicht sagen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich das ganze so schnell noch einmal bessert.
Obiges Foto wurde tatsächlich von einem Google-Produktmanager veröffentlicht und allen Ernstes als Messenger-Masterplan bezeichnet. Diese kleine Skizze stellt das gesamte Chaos schon sehr gut da, und das obwohl noch nicht einmal die Hälfte aller derzeit angebotenen Messenger dort enthalten sind. Als „Messenger“ definiere ich einfach mal alle Produkte, mit denen sich Nutzer untereinander Nachrichten in Echtzeit senden können – GMail als schneller Mail-Dienst einmal ausgenommen.
Die Trennung in Business und Privatnutzer ist nachvollziehbar und auch richtig, da beide unterschiedliche Bedürfnisse haben. Die Verlagerung von Hangouts in den Business-Bereich ist mutig, aber als etablierte Marke vielleicht der richtige Schritt. Jetzt noch einen Messenger für den Privatnutzer und die Produktpalette wäre fertig. Ein Privater und ein Geschäftlicher – vielleicht auch unter der gleichen Marke. Fertig. Aber das wäre für die vielen Tausend Google-Entwickler wohl zu einfach, denn womit soll man sich dann beschäftigen?
Unsinnig Abtrennung von speziellen Funktionen
Dass Google die Messenger gerne in Spezialprodukte aufteilt, hat sich erst vor zwei Wochen wieder gezeigt, als Hangouts Chat und Hangouts Meet gestartet worden sind. Das eine ist ein klassisches Chatprodukt, mit dem anderen können Videokonferenzen abgehalten werden. Wer sich in einem Chat befindet und eine kurze Videounterhaltung starten möchte, ist mit Googles Produkt verloren und muss dafür auf Hangouts Meet wechseln. Eine nahtlose Unterhaltung ohne Wechsel der App ist somit nicht möglich – und das obwohl es längst zur Grundfunktion eines Messengers gehört.
Für Privatnutzer wurden die beiden Messenger Allo und Duo erdacht, die ebenfalls eine strikte Trennung zwischen Chat und Videochat vornehmen. Allo ist dabei als Mittelpunkt und Eierlegende Wollmilchsau der Kommunikation konzipiert, aber wenn man einen Videochat starten möchte, muss man wiederum zu Duo wechseln und damit eine externe App verwenden – die der Gesprächspartner vielleicht gar nicht installiert hat. Andererseits ist es in Duo nicht möglich, auch nur ein einziges Wort in Textform untereinander auszutauschen.
Aber auch das in Richtung Business verschobene Hangouts besteht noch immer weiter und erfreut sich sehr viel größerer Beliebtheit als die beiden Nachfolge-Produkte. Da Hangouts selbst im Business-Bereich zwei komplett neue Nachfolger bekommen hat, ist die Zukunft dieser App vollkommen ungewiss. Die Produktmanager bemühen sich zwar zu betonen dass Hangouts bestehen bleibt, aber eine klare Positionierung der App ist nicht mehr zu erkennen. Und so hat man derzeit wieder das bekannte Szenario dass mindestens zwei Messenger-Apps nebeneinander bestehen und beide weiter entwickelt werden.
Neben diesen fünf großen Haupt-Messengern betreibt Google aber noch drei weitere spezielle Angebote. Die Videoplattform YouTube besitzt seit Anfang des Jahres ebenfalls einen eigenen Messenger, der sich in der Teilen-Funktion versteckt. Dieser ist nicht nur gut versteckt, sondern ist auch eine merkwürdige Mischung aus privater Kommentar-Funktion, Chat und teilweise auch E-Mail. Es bleibt abzuwarten wie sich diese Funktion weiter entwickelt, aber da das YouTube-Team mittlerweile unabhängig von Google ein eigenes Süppchen kocht, wäre es keine große Überraschung wenn auch daraus eines Tages ein vollwertiger Messenger wird.
Die erst in der vergangenen Woche beiden gestarteten Messenger Uptime und Supersonic Fun Messenger laufen ebenfalls noch etwas außer Konkurrenz, da sie nur sehr spezielle Einsatzgebiete abdecken und auch „nur“ von Googles Startup-Inkubator betrieben werden. Diese Experimente gehen meiner Meinung nach in Ordnung und sind gute Spielwiesen um zukünftige Funktionen eines Messengers und Konzepte auszuprobieren. Dennoch sollten sie natürlich nicht unerwähnt bleiben.
Der Kurzlebige: Google Spaces
Erst im vergangenen Jahr hatte Google dann noch Spaces gestartet, das aber nicht einmal ein Jahr überlebt hat und schon wieder eingestellt wurde. Auch diese App ermöglichte das Chatten zwischen einzelnen oder mehreren Nutzer und drehte sich vollständig um Interessen bzw. Sammlungen zu einem bestimmten Thema. Das Konzept war interessant, wurde aber leider nach der Veröffentlichung weder weiter entwickelt noch irgendwie promotet.
Der Klassiker und Hoffnungsträger: Android Messages
Ausgerechnet die einzige App ohne echte Messenger-Funktionen trug einige Jahre lang die Bezeichnung „Messenger“: Die SMS-App für Android. Diese wurde vor einigen Wochen in Android Messages umbenannt und könnte in Zukunft zu einem wichtigen Hoffnungsträger des Unternehmens werden. Mit viel Aufwand arbeitet Google an der Umsetzung und Etablierung von RCS / Joyn und platziert die eigene App mit Hilfe der Smartphone-Hersteller und Mobilfunkbetreiber in den Mittelpunkt dieser Technologie.
Auch wenn es sich bei RCS um eine Technologie handelt von der vor allem die Mobilfunkbetreiber in Form von Gebühren profitieren sollen, könnte dies ein möglicher Weg sein die Dominanz von Facebook und WhatsApp zumindest zum leichten wanken zu bringen, denn diese ist plattformübergreifend und soll auf jedem Gerät funktionieren, unabhängig davon ob und welcher Messenger installiert ist. Ob das funktioniert ist aus heutiger Sicht noch nicht zu sagen. Aber WENN es funktioniert, dann fällt das gesamte andere Konstruktur mit Allo, Duo, und Hangouts X wieder zusammen…
Das Chaos im Überblick
Auch wenn die Gedankengänge, die zu den Abtrennungen geführt haben, vielleicht nachvollziehbar sind, ist das ganze jetzt geschaffene Konstrukt für den Nutzer einfach nur undurchschaubar. Soll sich ein Nutzer auf der Suche nach einem neuen Messenger nun Hangouts oder Allo installieren? Zu welchem der beiden Messenger soll man seine Freunde und andere Kontakte überzeugen und sich tatsächlich sicher sein, dass das Produkt im nächsten Jahr noch existiert?
Mit Blick auf Googles Messenger-Chaos kann sich der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg einfach nur zurück lehnen und ins Fäustchen lachen. Mit den vielen Irrläufern wird man nichtmal einen winzigen Bruchteil der Nutzer von WhatsApp oder Facebook Messenger abziehen können – die neben der extrem weiten Verbreitung auch noch praktisch alle Funktionen gleichzeitig bieten, für die man bei Google schon 2-3 Apps installieren muss. Und selbst dann wird man nicht den Funktionsumfang der beiden Konkurrenten bekommen.
Es ist zwar schön dass man mit diversen Masterplänen versucht Ordnung in die Angebotspalette zu bekommen, und die einzelnen Produkte in spezielle Richtungen zu entwickeln, aber das sieht eben nur am Papier gut aus. Gerade Google sollte wissen, dass es der Nutzer einfach mag und ein Produkt haben möchte, dass einfach funktioniert – ohne sich einschränken zu müssen und weitere Produkte einsetzen zu müssen, die untereinander noch nicht mal kompatibel sind.
Es könnte so einfach sein
Google hat mit der aktuellen Infrastruktur und dem Produkt-Portfolio ohne weiteres das Potenzial dazu, das Chaos sofort zu beenden und dem grünen und blauen Riesen gehörig Konkurrenz zu machen: Stellt 8 der 9 Messenger ein und behaltet nur noch Hangouts – eventuell noch unter einem anderen Namen, da dieser auch nicht mehr das beste Image hat. Dieser Messenger kann dann sowohl für Privatnutzer als auch für Business-Nutzer angeboten und dann mit weiteren speziellen Gruppen-Features versehen werden.
Dieser EINE Messenger kann dann ständig synchronisiert auf allen Plattformen angeboten werden – was für Google das größte Potenzial ist. Mit Android betreibt man das dominierende Betriebssystem und kann den Messenger auf weltweit 80 Prozent aller Smartphones vorinstallieren. Mit Chrome OS und dem Chrome-Browser bringt man den Messenger dann auf den Desktop und bietet ihn auch noch als Web-App an. Ermöglicht den Videochat und die Telefonie der Nutzer untereinander und fertig.
Ob es diesen einen Messenger jemals geben wird steht in den Sternen, aber beim derzeitigen Messenger-Imperium ist man davon so unglaublich weit entfernt, dass es kaum jemanden überraschen würde wenn Google nicht bald noch einen Messenger startet und damit in die zweistellige Anzahl geht.