So wie jedes andere größere Unternehmen auch arbeitet Google ständig an der Weiterentwicklung der eigenen Produkte und bastelt immer wieder an neuen Angeboten. Dass dabei nicht immer jedes Produkt den Geschmack der Masse trifft und zu einem riesigen Erfolg wird ist vollkommen klar, doch in letzter Zeit kommt es gefühlt sehr häufig vor, dass Google Angebote vorzeitig einstellt. Und genau damit droht man langsam aber sicher das Vertrauen der Nutzer zu verspielen…
Google muss im Vorgarten des Hauptquartiers in Mountain View mittlerweile einen riesigen Friedhof haben, auf dem alle eingestellten Produkte begraben worden sind. Die Zahl der eingestellten Angebote hat in den 20 Jahren seit der Gründung des Unternehmens längst eine dreistellige Marke erreicht – und darunter waren nicht nur unbeliebte Produkte, wie viele Nutzer schmerzlich erfahren mussten.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb bei Google die Entscheidung fällt, ein Produkt einzustellen, und natürlich werden diese internen Überlegungen nicht mit den Nutzern geteilt. Passt das Produkt nicht mehr in die Roadmap? Findet es nicht genügend Nutzer? Gibt es ein Nachfolgeprodukt aus den eigenen Reihen? Auf welcher Grundlage man auch immer die Entscheidung trifft – an den Nutzer scheint man dabei nur sehr selten zu denken, und genau das kann sich irgendwann rächen.
Da Google die meisten Produkte ersatzlos einstellt, überlegt es sich ein Nutzer natürlich zwei mal, ob er sich noch einmal auf das Abenteuer einlässt und seine Daten auslagert oder ein bestimmtes Produkt in seinen Alltag integriert. Wer bei jedem neuen Produkt damit rechnen muss, dass es schon in wenigen Monaten nicht mehr existiert, der lässt es natürlich gleich bleiben – und gefühlt ist die Halbwertszeit bei Google in den letzten Jahren stark gesunken. Das jüngste Beispiel war die Einstellung von Google Spaces.
Wozu diese Entwicklung führen kann, sieht man etwa beim Messenger-Chaos. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Messenger gestartet, wieder eingestellt, umbenannt, in einzelne Apps aufgespalten, zusammengeführt und so weiter – das tut sich natürlich niemand an, und hat erst Recht keine Lust darauf seine gesamten Kontakte vom Umstieg zu überzeugen, wenn die Plattform schon bald nicht mehr existiert. Auch andere Google-Produkte haben durch dieses Wissen im Hinterkopf des Nutzers natürlich einen schweren Stand.
Google Reader, iGoogle, Google Notebook…
Natürlich gibt es einige Produkte im Google-Universum, die man durchaus als strategisch wichtige Angebote betrachten kann und einfach mal annimmt, dass sie niemals eingestellt werden. Dazu zählen etwa die Websuche, GMail, Google Photos, Google Maps, Google Drive oder auch YouTube. Dass das aber nicht unbedingt ein Garant für einen dauerhaften Betrieb ist, mussten im Jahr 2013 viele Millionen Nutzer des Google Reader erleben, der trotz aller Proteste eingestellt wurde – was viele Nutzer bis heute nicht vergessen haben dürften (inklusive mir). Auch über die Einstellung von iGoogle waren viele nicht gerade glücklich…
Wer sagt, dass bspw. Google Photos, in das ich viele Tausend Fotos ausgelagert und organisiert habe, nicht schon im nächsten Jahr eingestellt oder durch ein neues Produkt ersetzt wird? Angesichts der Einstellung von Picasa Web und Google+ Photos ist das gar nicht mal so unwahrscheinlich wie man auf den ersten Blick denken würde. Da Google mit den Photos keinen Cent verdient (vom Erwerb des zusätzlichen Speicherplatzes für den gesamten Account mal abgesehen), könnte auch hier irgendwann der Stecker gezogen werden.
Problematisch ist das vor allem dann, wenn man dem Nutzer kein Ersatz-Angebot liefert. So hat man etwa damals das kleine aber feine Google Notebook eingestellt, um dann später mit Google Keep ein Ersatz-Produkt zu liefern, das sich heute glücklicherweise wieder großer Beliebtheit erfreut. Darauf dass es das Tool auch im nächsten Jahr noch gibt, würde ich aber nicht wetten wollen.
Die großen Internet-Giganten leben mehr als alle andere Unternehmen vom Vertrauen der Nutzer, und genau dieses verspielt man mit einem solchen Verhalten sehr leichtfertig. Zwar ist Google bekannt dafür, für die Sicherheit der gespeicherten Daten der Nutzer bis in die höchsten Instanzen zu kämpfen und konnte bis heute nicht in großem Stil gehackt werden – aber den dadurch erworbenen Vertrauensvorschuss kann man eben auch sehr schnell wieder verlieren. Ein eingestelltes Produkt im Tagesablauf des Nutzers kann da schon tödlich sein, und die Konkurrenz ist bekanntlich nur einen Klick entfernt.
Zur Übersicht: Folgende Produkte und Angebote wurden allein in den vergangenen zwei Jahren eingestellt:
- Google Spaces
- Mr. Jingles (Maskottchen)
- Google Now Launcher
- Google Contributor
- Titan Aerospace
- Hangouts API
- Google Map Maker
- Panoramio
- Google Now
- Project Ara-Smartphones
- Chromebook Pixel-Reihe
- Picasa Web Albums
- Nexus Player
- Chrome App Launcher
- Picasa
- Search Appliance (Unternehmenssuche)
- My Tracks
- Websuche-APIs
- Google Friend Connect
- Google+ Photos
- Google+ Ripples
- Google Moderator
- Google Code
- Google Helpouts
- Google Talk
- Google Glass
- Google TV
In den vergangenen zwei Jahren waren glücklicherweise nur wenige populäre Produkte mit dabei, was aber an der Tatsache nicht viel ändert. Mittlerweile scheint man nach dem Prinzip Friss-oder-Stirb zu agieren, denn nach der Vorstellung bekommen neue Produkte kaum noch Promotion und müssen sich erst einmal beweisen, bevor sie weitere Ressourcen bekommen. Das hat in den frühen Jahren des Unternehmens wunderbar funktioniert – doch die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile gibt es ein mächtiges Facebook, ein Microsoft auf der Überholspur und auch die Nutzer haben längst höhere Ansprüche. Das wird Google hoffentlich bald lernen (müssen).
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