Nicht nur in Deutschland hat Google mit den Datenschützern Probleme wegen Street View, sondern auch in der Schweiz. Dort findet heute eine Anhörung am Bundesverwaltungsgericht in Bern zwischen dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür (EDÖB) und Google Schweiz statt. Google hat vorab eine Stellungnahme verschickt. Darin heißt es, dass man Google verbieten möchte, was Anderen erlaubt sei.
Der Datenschutzbeauftragte von Google Peter Fleischer sagte: „Wir sind überzeugt, dass Street View in Einklang mit dem Schweizerischen Datenschutzgesetz steht. Diese Funktion bringt sowohl Nutzern als auch Unternehmen enorme Vorteile. Seit dem Launch hat sich das Produkt bei der Schweizer Bevölkerung als sehr beliebt erwiesen und wir möchten, dass die Nutzer weiterhin vom Dienst profitieren können.“
Die Stellungnahme im Wortlaut:
1) Was bei Anderen erlaubt ist, soll bei Google verboten werden.
Was den Medien, anderen Internet-Anbietern und dem Staat selbstverständlich und ohne besondere Gesetzesgrundlage erlaubt ist, soll Google verboten werden: Überall werden heute Strassenansichten wie in Street View publiziert. Diese gelten als selbstverständlich zulässig, obwohl anders als bei Google nicht einmal versucht wird, Personen und Autokennzeichen unkenntlich zu machen. Würde der Massstab, den der EDÖB an Google ansetzen will, generell gelten, wären auch zahlreiche Medienerzeugnisse, Internet-Dienste und sogar die Website des Bundesgerichts illegal, weil auch dort Strassenansichten veröffentlicht werden, die gemäss Klage verboten sein sollten. Worin sich Street View Abbildungen von all diesen anderen Anwendungen unterscheiden soll, blieb bisher im Dunkeln. Die weltweite Abrufbarkeit kann es jedenfalls nicht sein, denn diese besteht bei jeder Internet-Seite.
2) Die Zoom-Funktion verbessert in keiner Weise die Bild-Auflösung
Der EDÖB operiert mit unzutreffenden Angaben über die Bild-Qualität von Street View. So ist die Auflösung der Bilder nicht besser als jene des menschlichen Auges, sondern im Gegenteil viel schlechter. Gezeigt werden zudem lediglich Momentaufnahmen und auch diese nur aus einer beschränkten Zahl von Blickwinkeln aus: Der Betrachter kann sich auf einer Strasse grundsätzlich nur in Schritten von ca. 10 bis 15 Meter der Strasse entlang bewegen und sich nur jeweils an diesen Haltepunkten umschauen. Der „Zoom“ ist vergleichbar mit einer Lupe, vergrössert also nur den Bildausschnitt, in keiner Wiese aber die Auflösung. Die Bilder sind undatiert und meist mehr als ein Jahr alt.
3) Die Kamerahöhe
Die Kamerahöhe von 2,75 Metern führt schon deshalb nicht zu Einblicken in den Privatbereich, weil nahezu von der Strassenmitte aus fotografiert wird, also aus einer Distanz, die nicht vergleichbar mit dem unmittelbaren Blick über den Gartenzaun ist. Der Einblickwinkel verändert sich dadurch so, dass regelmässig nichts Relevantes zu erkennen ist. Die gewählte Kamerahöhe hat vielmehr den positiven Effekt, dass nahen Passanten nicht direkt ins Gesicht fotografiert wird und sie weniger gut zu erkennen sind (weil von oben herab fotografiert wird). Zudem kommt es zu weniger Einblicken in Fahrzeuge, Strassenschilder sind besser lesbar, und Häuserfronten können nicht mehr durch andere Fahrzeuge und sonstige Hindernisse verdeckt werden. Fahrer von Baumaschinen, Car- und Tram-Passagiere oder Personen in mehrstöckigen Häusern können ihre Umgebung übrigens aus derselben oder sogar noch grösserer Höhe überblicken, und zwar nicht nur in jenem Sekundenbruchteil, den ein Bild in Street View einfängt. Niemand erachtet dies als Problem. Noch weiter gehen Luftaufnahmen, die der Staat und viele Private heute in höchster Auflösung und völlig legal anbieten zum Teil sogar kostenlos via Internet.
4) Breite Information der Bevölkerung
Die Fahrzeuge, die für Street View Fotoaufnahmen tätigen, sind für Passanten unübersehbar. Zudem wurde in der Öffentlichkeit an breiter Front über die Kamerafahrten informiert. Auf folgender Seite kann eingesehen werden, wo die Street View Fahrzeuge unterwegs sind: http://maps.google.ch/intl/de_ch/help/maps/streetview/where-is-street-view.html
5) Automatisches System zum Verwischen von Gesichtern und Autokennzeichen sowie Meldefunktion zum Schutz der Privatssphäre
Die automatische Verwischung von Gesichtern und Autokennzeichen hat sich als sehr wirkungsvolles Instrument erwiesen. Google setzt zur Erkennung von Gesichtern und Kennzeichen die gegenwärtig beste hierfür erhältliche Software mit einer minimalen Rate nur unzureichend verwischter Gesichter/Autokennzeichen ein. Der EDÖB verlangt jedoch, dass Google „perfekt“ ist, was eine manuelle Nachbearbeitung sämtlicher Bilder durch jeweils mehrere Personen erfordern würde. Diese Forderung ist völlig unverhältnismässig. Sollte eine Person sich trotz allem an einer Aufnahme stören, kann sie bei Google die zusätzliche Verwischung sowie die Entfernung von Bildern mit einigen einfachen Klicks verlangen. Sie wird rasch umgesetzt. Unsere Verwischungstechnologie garantiert, dass ungefähr 99% aller Gesichter und Autokennzeichen nicht identifizierbar sind.
6) Personen sind nicht identifizierbar
Die Personen auf den Bildern in Street View sind entgegen der Behauptung des EDÖB durch das breite Publikum selbst in den wenigen Fällen von unzureichend verwischten Gesichter im Normalfall nicht zu identifizieren. Ein Betrachter wird bestenfalls glauben, eine Person sehe einer bestimmten Person ähnlich. Und selbst dieses Szenario wird lediglich einem kleinen Kreis von Personen möglich sein nämlich jenen, die sie gut kennen. Das sind aber just jene, die über die betroffene Person ohnehin wesentlich mehr wissen, als über Street View je zu erfahren wäre.
7) Abbildung von herkömmlichen Alltagsszenen
Was in Street View zu sehen ist, sind in der Regel harmlose Alltagsbilder, die in dem Bruchteil einer Sekunde fotografiert wurden. Die zufällig abgebildeten Personen und Autos stehen nicht im Vordergrund des Dienstes und sind lediglich Beiwerk. Die Bilder zeigen, was in jeder Alltagssituation ebenso abgebildet wird, wobei die Personen nicht hervorgehoben werden.
8 ) Nutzung von Street View belegt grosses öffentliches und privates Interesse
An Street View besteht mittlerweile ein enormes privates und öffentliches Interesse. 25 Prozent der Schweizer haben den Dienst bereits genutzt. Weit mehr als 30.000 Schweizer nahmen vor kurzem an einer Abstimmung zur Wahl des Schweizer Skigebiets teil, das zuerst in Street View abgebildet werden soll. Es gibt zahlreiche Anwendungen für touristische Einrichtungen, Privatpersonen, Unternehmen, Schulen, Behörden und Gemeinden, und laufend kommen neue Anwendungen hinzu. Google hortet die Daten nicht für sich, sondern stellt sie der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung. Google engagiert sich letztlich privat finanziert genau für das, was der Gesetzgeber zum Beispiel mit dem Geodatengesetz auch vom Bund verlangt. Dieser hat nämlich sicherzustellen, dass die Schweiz hinreichend mit Geodaten versorgt ist, wozu auch Strassenbilder wie in Street View gehören. Der Gesetzgeber geht sogar noch einen Schritt weiter: Im Urheberrechtsgesetz hat er das jedermann zustehende Recht, Strassenbilder zu verbreiten, unter dem Titel der Panoramafreiheit ausdrücklich festgeschrieben. Der EDÖB bestreitet hingegen ein öffentlichen Interesse an Dienstleistungen wie Street View.
9) Street View ist datenschutzkonform
Street View wird derzeit in 27 Ländern angeboten, davon in zwölf Ländern Europas. Die Klage des EDÖB in der Schweiz erfolgte letztlich aus rein politischen Gründen. Denn nach einer eingehenden Analyse kam der EDÖB selbst zum Schluss, dass Street View datenschutzkonform ist.
10) Rechtliches
In rechtlicher Hinsicht macht Google zunächst geltend, dass der EDÖB die Schweizer Tochtergesellschaft von Google zu Unrecht eingeklagt hat, diese macht weder Bilder für Street View, noch betreibt sie den Dienst. Google ist weiter der Ansicht, dass das DSG hier keine Anwendung findet, weil bezüglich der für den Prozess relevanten Sachverhalte keine Personendaten vorliegen. Solche liegen nur vor, wenn eine Person wirklich identifiziert werden kann und ein hinreichendes Interesse besteht, den hierzu nötigen Aufwand zu betreiben. Beides ist nicht gegeben. Die bloss theoretische Möglichkeit zur Identifikation genügt anerkanntermassen nicht. Der EDÖB kann jedoch nur Massnahmen gegen Persönlichkeitsverletzungen von identifizierbaren Personen verlangen. Google macht rechtlich weiter geltend, dass keine Persönlichkeitsverletzungen belegt sind, da die Bearbeitungsgrundsätze alle eingehalten sind. Die Aufnahmefahrzeuge sind für Personen, die bestimmbar sein könnten, gut erkennbar, ebenso der Zweck. Es wird auch bei der Publikation das mildeste Mittel verwendet, um den Zweck zu erreichen (geringe Auflösung, verwischte Gesichter und Kennzeichen, Ansichten nur alle 10 bis 15 Meter, Löschmöglichkeiten, etc.). Selbst wenn in Einzelfällen eine Verletzung vorliegen würde, wäre sie durch überwiegendes öffentliches und privates Interesse gerechtfertigt. Zudem sind auch die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 2 Bst. e DSG erfüllt; verlangt wird nicht die perfekte Anonymisierung, sondern lediglich, dass das breite Publikum eine Person nicht erkennt genauso, wie das auch bei „anonymisierten“ Zeitungsberichten und Urteilen anerkanntermassen genügt.
Kurzer Rückblick wie es zur Klage kam:
Google hat im Sommer 2009 Bilder in der Schweiz online gestellt. Der zuständige Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür stellte Google ein Ultimatum. In diesem forderte er verschiedene Änderungen an Street View. Man konnte sich zwar bei einigen Punkten einigen, aber man wollte die Sache dennoch vor dem Bundesverwaltungsgericht klären. Diese Klage wurde bereits Ende 2009 eingereicht.